Stellungnahme: Rechtswidrige „Sozialprognose“

STELLUNGNAHME

Die Erhebung der Sozialprognose bei der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten in der Stadt Leipzig ist rechtswidrig

Leipzig, 13. Dezember 2017

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleg_innen, liebe Engagierte,

wir veröffentlichen heute das „Gutachten zur Rechtmäßigkeit der Sozialprognose für Bewohner_innen von Gemeinschaftsunterkünften der Stadt Leipzig“ [hier finden Sie zusätzliche Informationen]. Das Rechtsgutachten haben wir gemeinsam mit dem Initiativkreis: Menschen.Würdig. beim Büro für Recht und Wissenschaft (Berlin) in Auftrag gegeben. Das Gutachten hat die Erhebung der Sozialprognose bei der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten, die das Sozialamt Leipzig bisher anwendete, auf seine Rechtmäßigkeit geprüft. Hintergrund: Wenn Bewohner_innen aus Gemeinschaftsunterkünften in eine eigene Wohnung ziehen wollten, war es laut Unterbringungskonzept der Stadt Leipzig bisher nötig gewesen, dass eine Sozialprognose positiv ausgestellt wird.

Das Gutachten kommt zum Schluss, dass die gewählten Mittel und Wege, der Inhalt und der Ablauf der Sozialprognose, weder geeignet noch angemessen sind, um die Ziele zu erreichen, die mit der Sozialprognose angestrebt werden. Vielmehr verletzt die Erhebung der Sozialprognose Grundrechte, so verstößt die Sozialprognose gegen das in Art. 3 Abs. 3 GG als auch Art. 18 Abs. 3 SächsVerf enthaltene Verbot der Diskriminierung wegen der Sprache. Ferner ist die Statuierung der Sozialprognose (allein) für asylsuchende und geduldete Menschen als mittelbare Diskriminierung nicht vereinbar mit Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 18 Abs. 3 SächsVerf. und verstößt darüber hinaus gegen die allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssätze in Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 18 Abs. 1 SächsVerf. Des Weiteren gibt es aus datenschutzrechtlicher Perspektive durchgreifende rechtliche Bedenken.

Vor dem Hintergrund empfehlen die Verfasser_innen des Rechtsgutachtens ganz auf das diskriminierende Auswahlverfahren zu verzichten. Neben der Empfehlung zeigt das Rechtsgutachten auch auf, dass Alternativen zur Verfügung stehen, um die mit der Sozialprognose verfolgten Ziele zu erreichen. „Eine am individuellen Unterstützungsbedarf orientierte Begleitung in selbständiges Wohnen erweist sich dabei nicht nur als der rechtmäßige, sondern auch als der effektivere und ressourcenschonendere Weg“.

Mit gutem Beispiel geht die Stadt Leipzig voran: nach Erhalt des Rechtsgutachtens hat die Stadt Leipzig beschlossen, auf die Erhebung der Sozialprognose bei der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten zu verzichten. Wir erhoffen uns mit der Veröffentlichung des Rechtsgutachtens, dass auch andere Kommunen dem Beispiel von der Stadt Leipzig folgen werden und damit auf die diskriminierende Praxis verzichten. Denn der Sächsische Ausländerbeauftragte empfiehlt in seinem „Heim TÜV 2017“ (Drs 6/9814: Heim-TÜV 2017 Teil I: Evaluation der dezentralen Unterbringung und der unteren Ausländerbehörden im Freistaat Sachsen) die Erhebung der Sozialprognose, die sogenannte „Wohnfähigkeitsprüfung“ als best practice, was vor dem Hintergrund des Rechtsgutachtens nicht haltbar ist.

Zudem bietet das Rechtsgutachten Engagierten und Fachkräften die Möglichkeit, solche diskriminierenden Auswahlverfahren bei der dezentralen Unterbringung in ihrem Umfeld abzugleichen. Wünschenswert wäre aus unserer Sicht, dass diese und ähnliche Praktiken nicht mehr angewendet werden.

Bei Anmerkungen oder Rückfragen können Sie sich gerne an uns wenden.

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen,
Sotiria Midelia, Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V.
Kim Schönberg, Initiativkreis:Menschen.Würdig.

Herunterladen können Sie sich das Rechtsgutachten hier, sowie eine Zusammenfassung hier und diese Stellungnahme hier.