Einladung zum IKMW Treffen am 06.03.

Aufforderung zum Tanz: Die Wohnraumfrage endlich in den Mittelpunkt stellen und soziale Kämpfe verbinden

Im Jahr 2012 beschloss der Leipziger Stadtrat mit dem Unterbringungskonzept für Geflüchtete eine Abkehr von Massenunterkünften am Stadtrand zugunsten kleinteiliger Gemeinschaftsunterkünfte in der Stadt und die verstärkte Ermöglichung selbstbestimmten Wohnens in eigenen Wohnungen. Dieser Beschluss war auch Resultat zivilgesellschaftlicher und antirassistischer Kämpfe.
Das Konzept wurde schon damals in einigen Stadtteilen mit rassistischen Mobilisierungen beantwortet und auch fünf Jahre danach ist der Rassismus nicht verschwunden. Vor allem aber gab es einen Boom von Großunterkünften: Vier Camps beherbergen über 300 Menschen, in vier weiteren können zwischen 200 und 250 Platz finden. In Planung und Bau befinden sich allein 7 Unterkünfte, deren Kapazität mehr als 200 Plätze umfasst. Nur etwa die Hälfte der in Leipzig lebenden Geflüchteten wohnen in eigenen Wohnungen.
Der IKMW nimmt das fünfte Jahr nach Beschlussfassung des Unterbringungskonzeptes zum Anlass, die Stadt an ihre ursprünglichen Ziele zu erinnern und auf Missstände hinzuweisen.

Fight for your right: Wohnen ist Menschenrecht!
Selbstbestimmtes Wohnen ist ein Menschenrecht und nicht nur das. Es ist auch eine der dringlichsten sozialen Fragen dieser Zeit. Es bedeutet, das Leben nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können oder eigene Vorstellungen überhaupt durch einen Rückzugsraum und Privatsphäre entwickeln zu können. Aus dem deutschen Grundgesetz sowie aus der Europäischen Menschenrechtskonvention wird der Schutz der Privatsphäre, und somit der Schutz des Wohnraums, abgeleitet. Menschen sollen sich frei und ungezwungen ohne die Kenntnis und ohne den Eingriff anderer Menschen verhalten können. Außerdem sind Menschen in ihrem Recht geschützt, Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen zu können. Dazu gehört selbstverständlich ein Raum, um diese Beziehungen entwickeln zu können. Die Unterkunft muss außerdem „hygienisch“ sein, das heißt über grundlegende Einrichtungen wie Wasser, Heizung, Abfallentsorgung, Sanitäreinrichtungen und Elektrizität verfügen, baulich sicher und nicht überfüllt sein. Menschen müssen grundsätzlich, aber auch in ihrer Wohnsituation in ihrer körperlichen und seelischen Unversehrtheit geschützt werden!

Wir sehen durch die Massenunterbringung die verbrieften Rechte auf selbstbestimmtes Wohnen verletzt. Der Staat argumentiert mit seiner Unterbringungspflicht. Oft werden durch Zwangsmassenunterbringung aber Wahlfreiheit, Privatsphäre und Anforderungen an Unterbringungsstandards verletzt. Nicht zuletzt ist auch die Abschiebung von Menschen aus ihrem eigenen Wohnraum aus unserer Sicht ein schwerer Eingriff.

Rooms are not available: bezahlbarer Wohnraum für alle!
Wohnen in einer eigenen Wohnung bedeutet auch, sich nicht immer wieder die oft überlebenswichtige Frage stellen zu müssen, wo oder ob es ein Dach über dem Kopf gibt. Das gilt für alle Menschen, die Wohnungslosigkeit erfahren und damit auch für Menschen, die eine Flucht aus lebensbedrohlichen Situationen in unsichere Verhältnisse hinter sich bringen mussten. Wohnraum, der für alle bezahlbar ist, wird immer knapper, dabei ist evident, dass die Sicherung dieses Menschenrechts oberste Priorität haben sollte.
In den letzten Jahren hat sich die Wohnsituation für alle in der Stadt lebenden Menschen verändert. Der Wohnungsmarkt unterliegt einem hohen Verwertungsdruck durch die Immobilienwirtschaft. Mieten steigen, Stadtviertel werden aufgewertet und Menschen verdrängt. Dies wirkt sich auch auf Geflüchtete aus, eine der stark von Armut bedrohten gesellschaftlichen Gruppen.
Zirka 1000 Geflüchtete, die bereits über eine Anerkennung verfügen und damit per Gesetz nicht mehr verpflichtet sind, in Sammelunterkünften zu leben, leben weiterhin dort. Seit Sommer 2016 erhebt die Stadt Leipzig sogar Gebühren für die, die mit Anerkennung in den GUs leben und verdient damit an den betroffenen Geflüchteten.
Gründe für den Auszugsstau sind die Barrieren bei der Wohnraumsuche, rassistische Vermieter*innen und der pure Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Statt Wohnraum gerade für arme und armutsgefährdete Menschen zu schaffen, wird das Feld auch in Leipzig vor allem privaten Akteur*innen überlassen. Nur maximal 30 % der Wohnungen in Leipzig gehören der städtischen Wohnungsbaugesellschaft und Genossenschaften. Doch gerade der privatwirtschaftlich organisierte Sektor sieht seine Priorität nicht in Wohnraumversorgung sondern in der Rendite. Sanierungen und Neubauten fallen vor allem ins hochpreisige Segment. Dem vom Freistaat neu aufgelegten sozialen Wohnungsbau haben die Player des Marktes, darunter einige große Genossenschaften, vor kurzem eine Absage erteilt.

Decide yourself: Selbstbestimmtes Wohnen für alle!
Für Geflüchtete stellt sich die Frage nach bezahlbarem Wohnraum erst nach weiteren Hindernissen. In Deutschland ist es gesetzlich festgelegt, dass Geflüchtete regulär in Sammelunterkünften untergebracht werden sollen. Auch in Sachsen wird dies landesgesetzlich verfestigt. Ausziehen ist für die Betroffenen vor der Anerkennung als Flüchtlinge nur auf Antrag bei den Sozialämtern der Kommunen möglich. Schon hier beginnt die institutionelle Diskriminierung und Benachteiligung.
In der Stadt Leipzig müssen zudem Sozialarbeiter*innen in den Gemeinschaftsunterkünften vor dem Auszug mittels eines bereit gestellten Fragebogens eine sogenannte Sozialprognose erstellen und den Geflüchteten damit die sogenannte Wohnfähigkeit bescheinigen. Wenn die übergriffigen Einschätzungen des Sozial- und Ordnungsverhaltens nicht „positiv“ ausfallen, dürfen die Personen im schlimmsten Fall nicht ausziehen. Dieses Instrument ist repressiv und etabliert Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnisse – nicht nur zwischen Geflüchteter*m und Sozialarbeiter*in. Es ist ganz grundsätzlich Ausdruck einer Sonderbehandlung, nach der das Verhalten der Betroffenen belohnt oder sanktioniert wird. Migrant*innen werden so einer diskriminierenden Prüfung unterworfen, die es für andere Menschen nicht gibt. Ein Rechtsgutachten im Auftrag der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg befand im Jahr 2014, dass die in Potsdam angewendete Wohnfähigkeitsprüfung gegen das deutsche Grundgesetz und gegen europäische Richtlinien verstößt.
Es gibt zahlreiche bürokratische Hürden, die einem Auszug im Weg stehen, aber auch abseits dieser ist es für Menschen im Asylverfahren und für jene, die es bereits abgeschlossen haben, schwierig, passenden Wohnraum zu finden. Denn auch in Leipzig sind rassistische Diskriminierungen für Geflüchtete auf dem Wohnungsmarkt Normalität.

Wir wollen Kämpfe verbinden. Nicht nur hier geborene, sondern auch neu dazu kommende Menschen müssen ein Grundrecht auf Wohnen mit allen Facetten reklamieren können.

Dies kann nichts anderes heißen, als dass Wohnen dem Markt entzogen und jede*r ein garantiertes Recht auf eine Wohnung haben muss.
Dies kann nichts anderes zur Folge haben, als dass gesellschaftlicher und institutioneller Rassismus bekämpft wird und die Bekämpfung das neue politische Paradigma wird.
Dies kann nichts anderes sein, als das Ende der Inwertsetzung von grundlegenden menschlichen Bedürfnissen.

Wir rufen Euch auf, mit uns zu kämpfen.
Für selbstbestimmtes, bezahlbares Wohnen für alle! Für Wohnen als Menschenrecht!

Statement zum „Offenen Brief“ des Leipziger Flüchtlingsrat e.V.

Wir haben erfahren, dass im Moment in Leipziger Gemeinschaftsunterkünften ein Flugblatt verteilt wird. Mit diesem versuchen Mitarbeiter*innen des Leipziger Flüchtlingsrats präventiv gegen „Gewalt und sexuelle Übergriffe“ speziell an den kommenden Feiertagen an die Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, zu appellieren. Das Flugblatt wird auch durch Mitarbeiter*innen des Sozialamtes verteilt, und erweckt so den Eindruck einer städtischer Initiative.

Wir sind vorsichtig ausgedrückt sehr verärgert über das Vorgehen des Leipziger Flüchtlingsrats, dieses Anliegen auf diese Weise und ausschließlich an Geflüchtete zu richten. Das Flugblatt und die gezielte Verteilung in Gemeinschaftsunterkünften ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Wir können und möchten nicht auf alle problematischen Aspekte eingehen und somit doch in die gleichen Kerben schlagen wie das Flugblatt. Aber wir müssen entschieden widersprechen!

Die Bewohner*innen werden mit dem Flugblatt in eine Art Sippenhaft genommen. Es wird pauschalisierend davon ausgegangen, dass die Bewohner*innen es nötig hätten, daran erinnert zu werden, dass Gewalt und sexuelle Übergriffe nicht ok sind. Wir entgegnen: Die Herkunft von Personen schützt genau so wenig davor wie sie vorbestimmt, Opfer und/oder Täter*in von Gewalt und sexualisierter Gewalt zu sein. Der Flüchtlingsrat macht mit seinem Brief nichts anderes als alle Geflüchteten als potentiell übergriffig und gewalttätig zu stigmatisieren und etikettiert in Anleihen zur Silvesternacht in Köln. Dabei wissen wir nur zu gut, dass diese Probleme und Sexismus die gesamte Gesellschaft durchziehen und tief liegende Wurzeln haben.
Der sich im Flugblatt wiederfindende Verweis auf eine „orientalische Tradition“ ist – egal mit welcher bemüht positiven Konnotation – nichts anderes als kulturalistisch rassistisch und das Spiegelbild von negativen Zuschreibungen an Menschen „aus außereuropäischen Kulturkreisen“.

Das Flugblatt wurde auf Arabisch, Farsi und Kurdisch übersetzt. Die deutsche Version enthält keine direkte Ansprache, sondern gibt den Appell lediglich in indirekter Rede wieder. Bedeutet das, dass Menschen, die Deutsch sprechen, nicht darauf hingewiesen werden sollten, dass Gewalt und sexuelle Übergriffe bitte zu unterlassen sind? „Wir“ gegen „die anderen“?

Warum muss der Appell in den Kontext der Übergriffe der vergangenen Silvesternacht gestellt werden? Es ist immer zwingend notwendig, sich gegen Gewalt und sexuelle Übergriffe zu stellen, nicht nur zu Feiertagen.

Nicht zuletzt kritisieren wir als IKMW die Demut, die der Flüchtlingsrat bezüglich der „Aufnahme so vieler geflüchteter Menschen“ abverlangt. Asyl ist kein Gnadenakt, sondern ein Menschenrecht. Nicht zuletzt verharmlost der Verein damit die Verschärfung der Asylgesetze in den letzten beiden Jahren, reproduziert die rassistische Hetze von rechts und entsolidarisiert sich mit den Kämpfen gegen die rassistische und repressive Asylpolitik der deutschen Bundesregierung.

Wir fordern den Flüchtlingsrat auf das Flugblatt zurückzuziehen. Es ist blamabel, dass das Sozialamt erst auf den problematischen Inhalt hingewiesen werden muss. Wir fordern die Verteilung dieses Briefes sofort zu stoppen.

*Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete – Initiativkreis: Menschen.Würdig. appelliert an den Freistaat Sachsen von einer landesinternen Reglementierung der Bewegungsfreiheit abzusehen*

Seit Anfang August 2016 gilt in Deutschland die so genannte Wohnsitzauflage für Geflüchtete. Nach dieser Regelung, die im Integrationsgesetz des Bundes verankert ist, sollen anerkannte Geflüchtete drei Jahre in dem Bundesland leben müssen, in dem ihr Asylantrag anerkannt wurde.
Die Regelung sollte ursprünglich rückwirkend für die Menschen gelten, die seit Anfang des Jahres 2016 eine positive Entscheidung über ihren Asylantrag bekommen haben.
Laut Aussagen des Leipziger Sozialbürgermeisters Thomas Fabian lebten im September 2016 zirka 400 anerkannte Geflüchtete in Leipzig, die jüngst aus anderen Bundesländern zugezogen sind. Für diese könnte die Wohnsitzregelung greifen, so dass diese befürchten müssen an den Ort ihrer Erstzuweisung außerhalb Sachsens zurückgeschickt zu werden.
Nach eigenem Bekunden will der Freistaat Sachsen zudem im November entscheiden, ob die Wohnsitzauflage auch innerhalb Sachsens zum Zuge kommen soll. Dies ermöglicht der neu geschaffene § 12a Absatz 9 Aufenthaltsgesetz.

Kim Schönberg vom Initiativkreis: Menschen.Würdig. dazu:
“Wir lehnen die Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete ab. Sie ist ein ordnungspolitisches Zwangsinstrument und wird die Integration und die Teilhabe der Betroffenen sicher eher behindern als befördern, wie es der Gesetzgeber behauptet. Genau wie in Deutschland geborene Menschen ziehen Geflüchtete dorthin, wo sie soziale Kontakte, integrative Angebote und Zukunftsperspektiven finden und sich insgesamt wohl fühlen. Sie für drei Jahre zu zwingen an einem Ort zu bleiben, den sie eigentlich verlassen wollen, ist kontraproduktiv und hemmt genau das, was das Gesetz befördern möchte: die Integration und Teilhabe. Zudem verstößt die Regelung, die unserer Ansicht nur ökonomisch als integrationspolitisch begründet ist, gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, in der es heißt, dass „die Aufnahmeländer anerkannten Flüchtlingen das Recht gewähren müssen, ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen.“

Laut Medienberichten haben sich Bund und Länder Anfang November geeinigt, dass die Rückwirkung der Wohnsitzauflage zum 1.1.2016 außer Kraft gesetzt wird. Die Geflüchteten, deren Asylantrag zwischen dem 1.1. und 6.8.2016 anerkannt wurde, müssen nun nicht mehr zurück in das Bundesland, wo ihr Asylverfahren geführt wurde.

Kim Schönberg kommentiert:
„Die Aussetzung der Rückwirkung der Wohnsitzauflage begrüßen wir. Doch das kann nur der erste Schritt sein. Auch Sachsen sollte dem Beispiel von Rheinland-Pfalz folgen, das sich gegen eine landesinterne Wohnsitzauflage ausgesprochen hat. Selbst im flächenmäßig kleinen Saarland hat die Regelung bereits laut Medienberichten zu großem Chaos und vielen Protesten geführt. Anderes ist für Sachsen auch nicht zu erwarten.
Geflüchtete zu Ausfallbürgen einer verfehlten Stadt- und Landesentwicklung zu machen, ist absurd. Der Wohnungsmangel in den sächsischen Großstädten ist genau wie die fehlende Infrastruktur im ländlichen Raum Produkt einer unpassenden, unnachhaltigen und unüberlegten Politik. Nicht zuletzt verlassen Geflüchtete sächsische Regionen auch, weil sie Rassismus und Anfeindungen nicht mehr aushalten. Statt repressiver Maßnahmen wie die Wohnsitzauflage braucht es endlich eine vorausschauende, soziale und antirassistische Politik.“