Kein Generalverdacht gegen Geflüchtete – Hart erkämpfte asylpolitische Errungenschaften schützen!

Pressemitteilung 19.10.2016

Nach dem Aufgriff des mutmaßlichen Terroristen Dschaber al-Bakr in Leipzig warnt der Initiativkreis: Menschen.Würdig. vor einem Generalverdacht gegen geflüchtete Menschen. Al-Bakr plante mutmaßlich einen Terroranschlag in Deutschland. Er wurde aufgrund geheimdienstlicher Informationen in Chemnitz aufgespürt, konnte am 08.10.2016 der Polizei entwischen und wurde am darauffolgenden Montagmorgen, 10.10. durch drei Personen aus Syrien in Leipzig der Polizei übergeben. Al-Bakr hat sich mittlerweile in der JVA Leipzig das Leben genommen.

Bereits kurz nach seiner Verhaftung wurden die Stimmen aus dem konservativen Parteienspektrum laut, die Grenzen noch weiter dicht zu machen, nun einen pauschalen Datenabgleich aller Geflüchteten durch BND und Verfassungsschutz zu ermöglichen oder mögliche „Gefährder“ präventiv frühzeitig in Haft zu nehmen.

Kim Schönberg, Pressesprecherin des IKMW erklärt dazu:
„Diese Vorschläge sind Wasser auf die Mühlen von RassistInnen und in einigen Fällen verfassungswidrig. Sie stellen nichts anderes als einen Generalverdacht gegen schutzsuchende Menschen dar und werden den Alltagsrassismus gegenüber MuslimInnen weiter verschärfen. Dieser führt in Sachsen bekanntermaßen zu pogromartigen Zuständen. Der Zusammenhang zwischen Alltagsrassismus, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Übergriffen auf MigrantInnen muss endlich erkannt werden!“

Der aktuelle Fall beweist allerdings auch, dass es der Gesetzesverschärfungen gar nicht bedarf. Der Hinweis eines ausländischen Geheimdienstes über einen geplanten Terroranschlag führte die Behörden zu al-Bakr. Er wurde auf Grundlage der bereits bestehenden Gesetzeslage aufgespürt und der Anschlag damit vereitelt. Dass die Verhaftung misslang, ist niemandem anders als der in Chemnitz eingesetzten Polizei zuzuschreiben. Der 22-jährige war bereits im Februar 2015 nach Deutschland gekommen und hatte im Juni desselben Jahres seine Anerkennung als Flüchtling bekommen. Radikalisiert haben soll er sich erst danach, während seiner Reisen in die Türkei und nach Syrien.

Kim Schönberg: „Die von CDU und CSU geforderte Pauschalüberwachung aller neu nach Deutschland kommenden Geflüchteten würde in diesem Fall ins Leere laufen. Wenn überhaupt sollten sich die sächsischen Sicherheits- und Justizbehörden um interne Konsequenzen bemühen.“

Statt Geflüchtete unter Generalverdacht zu stellen, müssen die Behörden in Sachsen zudem endlich für den Schutz dieser Menschen sorgen. Neben der alltäglichen Gefahr des hiesigen enthemmten Rassismus schafft es Sachsen nicht, die couragierten Syrer, die Al-Bakr überwältigten, vor potentiellen Racheplänen zu beschützen.

Kim Schönberg dazu: „Wie kann es sein, dass diese mutigen Menschen nun Zuflucht in einer anderen Stadt suchen mussten, weil sie sich durch die sächsischen Behörden nicht genügend geschützt fühlten. Wir solidarisieren uns ausdrücklich mit den drei Männern und fordern, dass sie den Schutz erhalten, den sie sich wünschen.“

Zwei Tage nach der Verhaftung überraschte außerdem die Stadt Chemnitz mit eigenartigen Konsequenzen aus dem Vorfall. Sie wolle ihr Konzept der dezentralen Unterbringung überdenken: „Es könne beispielsweise überlegt werden, ob eine Unterbringung in Sammel- oder Gemeinschaftsunterkünften mehr Sicherheit bietet als in einzelnen Wohnungen“, hieß es in der Presse.

Zu diesem Vorschlag kommentiert Kim Schönberg:
„Aufgrund eines Einzelfalls gute Lebensbedingungen für alle Geflüchtete zur Disposition zu stellen, ist schon ein starkes Stück und völlig inakzeptabel. Aus unserer Sicht stellt sich die Situation genau anders herum dar: Das Leben in Massenunterkünften führt zur Ausgrenzung, vereitelt damit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und führt potentiell zu Aggressionen. Anstatt des Kontrollwunsches, sollte endlich der Gedanke an die Sicherheit der Geflüchteten einziehen. Bei 800 Angriffen gegen Asylunterkünften allein in diesem laufenden Jahr, kann von von sicheren Lebensumständen nicht die Rede sein!

Wir fordern die politisch Verantwortlichen in Sachsen und bundesweit dazu auf, nun Vernunft einziehen zu lassen, die Stigmatisierung und Diskriminierung von Geflüchteten zu beenden und Anstrengungen zu unternehmen, dass alle nach Deutschland kommenden Menschen hier ein gutes, sicheres und menschenwürdiges Leben führen können.“

++ Women in exile-Sommerbustour in Leipzig: Stimmen geflüchteter Aktivistinnen werden systematisch zum Schweigen gebracht++Aktivist_innen werden vom Verteilen von Flyern gehindert++Sicherheitskräfte im Zeltlager an der Straße des 18. Oktobers verletzen Rechte auf freie Rede und Information++

Wir veröffentlichen die Pressemitteilung des Vorbereitungsgruppe Leipzig der „Women in exile“-Sommerbustour. Die Tour von „Women in exile“ wird am 27. und 28. Juli 2016 in Leipzig Station machen.

Am 27. und 28. Juli 2016 macht die Sommerbustour der
selbstorganisierten Geflüchteten-Gruppe „Women in exile“, die seit
Jahren für die Rechte geflüchteter Frauen kämpft, in Leipzig Station.
Damit soll auch in Leipzig auf die spezifische Situation geflüchteter
Frauen hingewiesen werden. Die Kritik richtet sich dabei auch gegen
die menschenunwürdige und entmündigende Massenunterbringung von
Geflüchteten, die vor allem für Frauen negative Auswirkungen hat.

Bereits bei der Bewerbung der „Women in exile“-Tour in Leipzig
bestätigte sich die Kritik. Sicherheitskräfte verletzten das Recht auf
freie Rede und Information von Bewohnerinnen des Zeltlagers an der
Straße des 18.Oktober. Aktivistinnen wollten die Bewohnerinnen mit
Flyern zu einem Treffen geflüchteter Frauen und zur Demonstration für
die Rechte von Frauen einladen, die im Rahmen der Sommerbustour von
Women in Exile stattfinden wird.

Zunächst wurde Aktivistinnen verboten im Camp Flyer zu verteilen. Als
sie diese zwei Tage später, am gestrigen Dienstag, außerhalb des Camps
verbreiteten, wurden sie von der Security bedroht und es wurde
angekündigt die Polizei zu rufen, wenn sie nicht freiwillig gingen.
Zudem wurde Frauen beim Betreten des Lagers durch die Sicherheitsleute
Flyer abgenommen.

Ina aus der Leipziger Vorbereitungsgruppe erklärt dazu: „Wir standen
außerhalb des Lagers. Es ist unser Recht zu einem friedlichen Treffen
geflüchteter Frauen einzuladen. Es ist skandalös, wie wir und auch
Frauen im Lager bedroht, eingeschüchtert und daran gehindert werden
sich ihrer Rechte bewusst zu machen.“

Der Vorfall ist nicht der erste dieser Art. Einen Monat zuvor wurden
Aktivist_innen abgehalten mit Menschen im Lager zu sprechen, um einen
Konflikt zu lösen.
Außerdem hatten Bewohner_innen des Camps zusammen mit Aktivist_innen
mehrere Demonstrationen gegen die Bedingungen im Camp organisiert.
Beim Versuch Bewohner_innen einzuladen wurden Flyer entwendet und sie
massiv eingeschüchtert an den Protesten teilzunehmen.

Ina dazu: „Diese enorme Einschränkung und der Missbrauch der eigenen
Machtposition seitens der Sicherheitskräfte ist nicht nur illegal,
sondern weist auf strukturelle Diskriminierung seitens der deutschen
Behörden im Asylsystem.“

Dies alles steht in engem Zusammenhang mit Repressionen, die
geflüchtete Menschen erleben, wenn sie ihre Rechte einfordern. In
Dresden wurde ein legal angemeldetes Protestcamp von der Stadt geräumt
und Aktivistinnen von verschiedenen Institutionen und Akteurinnen wie
dem Ausländerrat und Landtagsabgeordneten systematisch attackiert.
Doch dies ist nur einer vieler weiterer Fälle. Hand in Hand mit der
schrittweisen dramatischen Beschneidung der Rechte von
Asylbewerber_innen wird jeder Protest, der sich dagegen formiert, im
Keim erstickt. Durch derartige Vorfälle wird ersichtlich, wie weit
geflüchtete Menschen in einem scheinbar demokratischen Rechtsstaat in
ihren Rechten und den Möglichkeiten davon gebrauch zu machen
eingeschränkt werden.

Aram von Asylum Seekers Movement dazu: „Wir lassen uns nicht
einschüchtern, wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen. Wir hoffen,
dass trotz der Einschüchterungsversuche seitens der Sicherheitskräfte
Frauen an der Demonstration teilnehmen werden. Das Verhalten der
Security ist für uns noch ein Grund mehr weiterzumachen. Es zeigt,
dass die Stimmen von Frauen wichtiger denn je sind!“

+Am 27. und 28. Juli macht die Sommerbustour von „Women in exile“ in
Leipzig Station. Die selbstorganisierte Geflüchtetengruppe kämpft
schon seit mehr als zehn Jahren für die Rechte geflüchteter Frauen.
Mit einer Demonstration am 28. Juli, 14:00 ab Alte Messe bis zum
Wilhelm-Leuschner Platz soll die Situation von geflüchteten Frauen in
Leipzig sichtbar gemacht und gegen Massenunterbringung protestiert
werden.+

Geflüchtete sollen Gebühr für Notunterkunft tragen: Initiativkreis: Menschen.Würdig. kritisiert Beschlussvorlage der Stadtverwaltung

Bei der Leipziger Stadtratssitzung am 22.6.2016 wird das Dezernat für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule eine Beschlussvorlage einreichen. Mit der Beschlussvorlage soll eine Veränderung der “Satzung über die Benutzung und die Gebühren in Unterkünften für
Wohnungsnotfälle und Asylbewerber sowie andere ausländische Flüchtlinge in Leipzig” herbeigeführt werden.

Die Stadt Leipzig ist verpflichtet “Asylbewerber sowie andere ausländische Flüchtlinge”, die dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) unterliegen, gebührenfrei in Gemeinschaftsunterkünften oder von der Stadt angemieteten Wohnungen unterzubringen. Wenn das Asylverfahren abgeschlossen ist, endet die Unterbringungspflicht der Stadt Leipzig. Die asylberechtigten Personen sind angehalten, sich Wohnungen zu suchen. Solange sie keinen Wohnraum finden, bleiben sie in den kommunalen Unterkünften, schlicht und einfach um Wohnungslosigkeit zu verhindern. Mit der Beschlussvorlage sollen Gebühren für die Benutzung dieser Einrichtungen erhoben werden. Diese sollen vom Jobcenter übernommen werden und unterliegt den Kriterien der Kosten der Unterkunft.

Kim Schönberg kritisiert den Vorstoß der Stadt: “Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Anerkannte Geflüchtete sollen in Zukunft für eine faktische Notunterbringung aufkommen, die sie nicht freiwillig gewählt haben. Die Vorlage der Stadt macht deutlich, dass es ein mehrschichtiges
Grundsatzproblem gibt: die Organisation von dezentralem Wohnen und die Bereitstellung von preiswertem Wohnraum.”
Anerkannte Geflüchtete unterliegen dem SGB II und sind nicht mehr verpflichtet, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Sie können endlich den Weg gehen, selbstbestimmt zu wohnen. In der Realität ist es ihnen wie auch Geflüchteten im Asylverfahren in vielen Fällen nicht
möglich, sich ohne Unterstützung Wohnungen zu suchen.

Bisher gibt es nur wenige Angebote, wie einige wenige MitarbeiterInnen in der Stadtverwaltung und die Kontaktstelle Wohnen in freier Trägerschaft, die Unterstützung bieten. Ein weiteres Problem ist der spürbare Mangel an bezahlbarem, sprich KdU-fähigem Wohnraum. Dies betrifft sowohl hier geborene als auch neu angekommene Menschen.

Kim Schönberg weiter: “Die Betroffenen dieser Beschlussvorlage sind faktisch gar nicht frei darin, ihren Wohnort zu wählen. Das Dezernat für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule bezieht diese Realität nicht in die Entscheidung zur Vorlage ein. Es sollen diejenigen eine Art Dienstleistungsgebühren zahlen, die gar nicht selbst entscheiden können, ob sie diese Dienstleistung überhaupt in Anspruch nehmen möchten.

Zwar werden die Gebühren bei Bedürftigen übernommen, doch dies hat zur Folge, dass eben jenen Gebühren aufgebürdet werden, die bereits in einer Gemeinschaftsunterkunft trotz aller widrigen Umstände zu Erwerbsarbeit gekommen sind, mit der sie für sich selbst sorgen können.

Ebenso nachteilig stellt sich die Situation für Familien dar, die Leistungen nach SGB II beziehen: Da die Kosten der Gebühren viel zu hoch für das Jobcenter sind, wird dieses die Familien sicherlich zum Auszug drängen! Zu fordern, dass die Betreffenden dann eben einfach aus den Unterkünften ausziehen sollen, ist ebenso absurd, wie zu hoffen, dass der Auszug schneller geht, wenn durch Gebühren der Druck noch erhöht wird!”

Die Beschlussvorlage wurde unter anderem aus diesen Gründen auch vom Migrantenbeitrat abgelehnt.

Kim Schönberg vom Initiativkreis: Menschen.Würdig.: “Die einzige denkbare Alternative ist in unseren Augen, das selbstbestimmte Wohnen in eigenen Wohnungen für Geflüchtete zu forcieren. Durch Abschaffung von Barrieren in eigenen Wohnraum zu ziehen und die weitere Stärkung von Vereinen und Initiativen, die dies unterstützen. Statt neuer Massenunterkünfte braucht es zudem bezahlbaren Wohnraum für alle in Leipzig lebenden Menschen. Damit können Marginalisierung und Ghettoisierung vorgebeugt und tatsächliche Teilhabe und Inklusion Geflüchteter erreicht werden.”