LVZ Delitzsch/Eilenburg vom 28.08.2013: „Asylbewerber-Problematik hat Landkreis Nordsachsen erreicht“

180 Flüchtlinge werden bis Dezember erwartet / Geplante Unterkunft in Rackwitz sorgt für Proteste

Kreisgebiet. Der Landkreis Nordsachsen hat erhebliche Probleme, geeignete Unterkünfte für Asyl- bewerber zu finden. Bis Ende des Jahres müssen 180 Flüchtlinge in der Region aufgenommen werden, es fehlt an Kapazitäten. Eine Immobilie, die derzeit in Frage kommt, ist das ehemalige Lehrlingswohnheim in Rackwitz. Doch dort sammeln Anwohner mittlerweile Unterschriften gegen die Pläne.
Von Nico Fliegner

Flüchtlinge, die vor dem Hamburger Hauptbahnhof demonstrieren, Proteste gegen ein Heim in Berlin-Hellersdorf und ein Hungerstreik von Asylbewerbern im nahen Bitterfeld-Wolfen, die dort bereits rassistisch beleidigt und bedroht worden sind: Das Thema Asyl hat die Politik erreicht – und mittlerweile auch den Landkreis Nordsachsen, der dieses Jahr insgesamt 260 Flüchtlinge aufnehmen muss. 80 davon – vorwiegend Menschen aus der Russischen Föderation – sind bereits angekommen. Im Vergleich zu 2012 sind das 111 Menschen mehr. „In ganz Deutschland steigen die Asylbewerberzahlen, auch bei uns. Als Landkreis sind wir verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen“, konstatiert Landrat Michael Czupalla (CDU), wohlwissend ob der Brisanz des Themas anderswo, wo mittlerweile die NPD gegen die Asylbewerber hetzt. „Wir wollen hier kein zweites Hellersdorf“, so Czupalla.
Doch auch in Nordsachsen formiert sich Widerstand – zurzeit in Rackwitz, wo das ehemalige Lehrlingswohnheim ab 1. Oktober Unterkunft für 120 Flüchtlinge werden soll, wie das Landratsamt gegenüber der LVZ bestätigte. Im Dorf kursieren Unterschriftenlisten, auf denen sich die Einwohner gegen die Pläne aussprechen. Andere halten die Immobilie für „unzumutbar“ für Flüchtlinge. „Es ist doch bekannt, dass das Wohnheim asbestverseucht ist“, sagt Anwohnerin Edelgard Albrecht. „Flüchtlinge sind Menschen wie Sie und ich – die kann man doch nicht in so eine Bude einpferchen.“
Noch ist unklar, ob das ehemalige Wohnheim neue Flüchtlingsunterkunft wird. Der Zuschlag an die potenzielle Betreiberfirma könne erst erteilt werden, wenn die „bauordnungs- und bauplanungsrechtliche Zulässigkeit“ gegeben sei, sagt Landkreis-Dezernentin Angelika Stoye. Dies werde derzeit geprüft. Zudem werde „im gesamten Landkreis“ nach Quartieren gesucht. Doch das gestaltet sich offenbar recht schwierig. Nach LVZ-Informationen würden vielerorts die Bürgermeister die Hände heben, wollen an das Thema nicht ran. Angelika Stoye findet dazu deutliche Worte: „Gemeinsam mit den Bürgermeistern besteht die humanitäre Verpflichtung, diesen Menschen geeignete Unterkünfte anzubieten.“
Was Rackwitz angeht, so ist die Sache längst nicht ausgestanden. Kritik an Gemeindeoberhaupt Manfred Freigang (UWV) wurde laut. In einem Flugblatt, das an die Haushalte verteilt worden ist, beklagen Einwohner, nicht vorher über die Pläne informiert worden zu sein. Morgen Abend wollen sie ihrem Ärger im Gemeinderat Luft machen. Vertreter des Landratsamtes wollen zugegen sein und informieren. Landrat Czupalla steht unterdessen in Gesprächen mit Ministerien in Dresden, hofft perspektivisch auf zusätzliche finanzielle Mittel. Ergebnisse gibt es allerdings nicht.

Hintergrund:

69 Wohnungen für 202 Asylbewerber
Gemeinden Zahl der Wohnungen
Delitzsch ……………………… 20
Eilenburg ……………………….. 5
Bad Düben …………………….. 2
Rackwitz ………………………… 1
Taucha ………………………… 17
Schkeuditz …………………….. 7
Mockrehna …………………….. 1
Torgau ………………………… 13
Dahlen ………………………….. 2
Mügeln ………………………….. 1
Quelle: Landratsamt

Im Landkreis Nordsachsen leben zurzeit 440 Asylbewerber und andere ausländische Flüchtlinge verschiedener Nationalitäten. Sie kommen aus Algerien, Indien, dem Irak und Iran, aus Ägypten, dem Kosovo, aus Libanon, Libyen, Pakistan, Syrien, Tunesien, Türkei, Vietnam, Armenien, der Russischen Föderation, aus Marokko und Mazedonien. Davon leben in der Gemeinschaftsunterkunft Spröda, die eine Kapazität von 250 Personen fasst, 238 Menschen. Die Unterkunft wird von einer privaten Firma im Auftrag des Landkreises betrieben. Weitere 202 Flüchtlinge, zumeist Familien, alleinstehende Eltern mit Kindern und alleinstehende Frauen, sind in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden untergebracht (siehe Tabelle).

Das einstige Lehrlingswohnheim in Rackwitz, damals Außenstelle des Beruflichen Schulzentrums Delitzsch, ist seit sechs Jahren verwaist.