l-iz vom 11.11.2012: „Sächsischer Demokratiepreis: Auch Leipziger Initiativkreis „Menschen.Würdig“ wird geehrt“

Während Sachsens Ministerpräsident am 9. November mal wieder ein paar Sächsische Verdienstorden verteilte, ging die Verleihung des Sächsischen Demokratiepreises etwas stiller über die Bühne. Den verleiht nämlich nicht die Staatsregierung. Den vergeben drei Stiftungen, die durchaus anzuerkennen wissen, was demokratisches Engagement ist. Ausgezeichnet wurde auch eine Leipziger Initiative.

Ausgezeichnet wurden am Freitag, 9. November, im Kurländer Palais in Dresden das Dresdener Bündnis „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“, jene Initiative, die innerhalb von drei Jahren die größten Neonaziaufmärsche Europas blockierte – nämlich jene im Februar in Dresden von 2010 bis 2011, – und der Initiativkreis „Menschen.Würdig“ aus Leipzig.Träger des Preises sind die Amadeu Antonio Stiftung, die Freudenberg Stiftung und die Sebastian Cobler Stiftung. Seit der Freistaat Sachsen als Mitinitiator der Ehrung auch von allen Preisträgern eine Demokratieerklärung verlangt, vergeben Amadeu Antonio Stiftung, die Freudenberg Stiftung und die Sebastian Cobler Stiftung die Würdigung ohne Beteiligung des Innenministeriums. Nachdem das Pirnaer Projekt AKuBiZ, der Preisträger 2010, die Unterzeichnung einer „antiextremistischen“ Grundsatzerklärung ablehnte und den Preis nicht entgegennahm, zog sich das sächsische Staatsministerium ab 2011 aus der Preisvergabe zurück.Was eigentlich schon alles sagt zur „sächsischen Demokratie“ und der Einstellung des Innenministeriums zum Thema Zivilcourage.

„Die Extremismuserklärung und der Zwang auch das Demokratieverständnis von Projektpartnern zu prüfen und sie zu Bekenntnissen zu nötigen ist ein Misstrauensvotum an zivilgesellschaftliches Engagement im Land“, sagt dazu die Grüne-Landesvorsitzende Claudia Maicher. „Gerade der 9. November zeigt uns, wie wichtig Demokratie, Freiheit und Menschenrechte sind. Diese immer wieder vor Ort zu stärken und nicht Engagierten Steine in den Weg zu legen, ist unsere gemeinsame Verantwortung.“

„Die Verbrechen des NSU zeigen, wie wichtig es ist, dass sich viele Menschen gegen Rassismus, Antisemitismus und rechtsmotivierte Gewalt engagieren. Die vielfältige Initiativenlandschaft in Sachsen ist der beste Verfassungsschutz und verdient Respekt und eine nachhaltige Unterstützung. Trotz der erfolgreichen Arbeit der vielen Initiativen in Sachsen bliebt aber noch viel zu tun. Denn nach wie vor sind Alltagsrassismus und sogar rechtsmotivierte Gewalttaten schreckliche Wirklichkeit in Sachsen“, betont Henning Homann, Sprecher für demokratische Kultur und bürgerschaftliches Engagement der SPD-Fraktion.

Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion: „Es gibt in Sachsen neben der ’sächsischen Demokratie‘ mit ‚Extremismus-Klausel‘, Kriminalisierung von Antifaschisten und Einschüchterung couragierter Bürgerinnen und Bürger eine selbstbewusste Zivilgesellschaft. Sie steht für eine Lebensweise der Vielfalt und Menschenfreundlichkeit. – Von Sachsen ging ein Jahrzehnt lang der mörderische Terror des ‚Nationalsozialistischen Untergrunds‘ aus. Er wurde möglich durch behördliches Wegschauen und amtliche Ignoranz. Nazis stoppen und Flüchtlingen helfen – das sind ‚Markenzeichen‘ einer Kultur des Hinschauens und des Einmischens. Die Preisträger sind damit Vorbild für ein besseres Sachsen, das allen hier lebenden Menschen Heimat sein kann.“

Gerade das Bekanntwerden des „NSU“ 2011 hat gezeigt, wie notwendig zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechtsradikale Umtriebe ist.Das Gedankengut, das den Rechtsauslegern Spielräume öffnet, ist dabei – die L-IZ berichtete mehrfach darüber – bis tief in die sogenannte Mitte der Gesellschaft hin verankert.Das bekamen die Leipziger zu hören, als im Frühjahr die Diskussion um eine etwas menschengerechtere Unterbringung von Asylbewerbern in Leipzig begann. Da meldeten sich auf einmal Bürger und Bürgerinitiativen mit einem seltsamen Vokabular und verwirrenden Ansichten zu Wort, die dann in einschlägigen Medien auch noch ihr Echo und ihre Bestätigung fanden. Die Diskussion drohte völlig zu entgleisen.

Der Stadtrat von Leipzig beschloss im Juli 2012 eine völlig marode Sammelunterkunft für Asylsuchende am Rand der Stadt zu schließen und die Bewohner_innen zukünftig über die Stadt zu verteilen und in kleineren Wohneinheiten unterzubringen. Diese minimale Verbesserung für Asylsuchende löste wütenden Protest der Anwohner_innen vor allem in Grünau, Portitz, Wahren und später auch Reudnitz aus.

„Bis heute werden Asylsuchenden von ihren zukünftigen Nachbar_innen mit Gewalt, Kriminalität und Vermüllung gleichgesetzt. Gegen diese rassistischen und menschenverachtenden Ressentiments wenden wir uns“, erklärt Detlef Holz vom Initiativkreis „Menschen.Würdig“, der den Sächsischen Demokratiepreis für seine engagierte antirassistische Arbeit genau in diesem erhitzten Umfeld verliehen bekam.

Der Initiativkreis erstellte ein Flugblatt, das den rassistischen Ressentiments fundierte Argumente entgegensetzte und sammelte mehr als 5.400 Unterschriften, um das Konzept der Stadt als ersten Schritt zur Gleichstellung von Geflüchteten zu unterstützen und dem rassistischen Diskurs die rote Karte zu zeigen.

„Wichtiges Anliegen war es aber vor allem auch Geflüchtete selbst in die Debatte einzubeziehen. Wurde doch zuvor – gerade von der Stadtverwaltung – nur über sie gesprochen und nicht mit ihnen“, so Detlef Holz.

Detlef Holz, der auch Pressesprecher des Initiativkreises ist, erklärt zum nun verliehenen Preis: „Es freut uns außerordentlich, dass unsere oft nicht leichte Arbeit auch überregionale Anerkennung findet.“

Die ideelle und materielle Anerkennung will der Initiativkreis „Menschen.Würdig.“ für sein zukünftiges zivilgesellschaftliches Engagement nutzen. So ist geplant, in den Unterkünften der Asylsuchenden offene Treffs anzubieten, um dort rechtliche Beratung, vor allem aber auch Empowerment für die Durchsetzung eigener Interessen anzubieten. Gerade die bundesweiten Proteste Asylsuchender wie der „Refugee Protest March“ nach Berlin, hätten gezeigt, dass die Ungleichbehandlung von Geflohenen nicht nur ein Leipziger Problem ist.

„Wir unterstützen die selbstorganisierten Proteste der Asylsuchenden und fordern die Gleichstellung aller Geflüchteten“, so Holz.

Ein weiterer Schwerpunkt der zukünftigen politischen Arbeit des Initiativkreises werde das Leipziger Stadtviertel Wahren sein. Detlef Holz dazu: „Wie wir in den letzten Wochen sehen mussten, sind die Vorurteile vieler Anwohner_innen noch immer sehr präsent. Hier wollen wir versuchen, mit einer Kampagne den Alltagsrassismus zu bekämpfen und eine integrative Willkommenskultur zu etablieren.“

Mehr Informationen dazu werden demnächst durch den Initiativkreis Menschen.Würdig bekannt gegeben.

www.menschen-wuerdig.org
www.demokratiepreis-sachsen.de

(Ralf Julke, 11.11.2012, Quelle: l-iz)