Um drei weitere Unterkünfte für Asylbewerber und die Finanzierung ihrer Unterbringung entscheidet der Stadtrat in der kommenden Woche. Zeitlich nah am Tag der Menschenrechte und in Zugzwang: Denn bei Ablehnung könne Leipzig eine weisungsgebundene Pflichtaufgabe nicht erfüllen, warnt die Verwaltung. Zustimmung kommt aus Altwest. Der Leipziger Stadtrat befasst sich am kommenden Mittwoch, 12. Dezember, erneut mit dem Thema Asyl in Leipzig.
Die Drucksachen V/2626 „Mehrbedarf 2013: Weitere Standorte für gemeinschaftliches Wohnen von Asylsuchenden und Geduldeten in Leipzig – Ausführungsbeschluss zur Betreibung und sozialen Betreuung in Häusern für gemeinschaftliches Wohnen von Asylbewerber/innen und Flüchtlingen“ und – ganz eilbedürftig – V/2701 „Überplanmäßige Aufwendungen 2012 gem. § 79 (1) SächsGemO in der Budgeteinheit 50_313_ZW – Hilfen für Asylbewerber aufgrund erhöhter Zuweisungsprognosen von Asylbewerbern für das Jahr 2012“ haben die Ratsfrauen und Ratsherrn auf der Tagesordnung.Im ersten Fall geht es um die kurzfristige Schaffung von den 110 bis 120 Plätzen für Asylbewerber, die im Juli 2012 aus Opportunitätsgründen noch nicht beschlossen wurden. Im zweiten Fall muss zur Erledigung einer kommunalen Pflichtaufgabe noch Geld nachgeschossen werden.Nach der Entscheidung der Leipziger Stadtverwaltung, das Grundstück Torgauer Straße 290 als Gewerbegrundstück einem privaten Investor zur Verfügung zu stellen, läuft die Suche nach neuen Standorten für Asylbewerberunterkünfte. Möglichst human und dezentral sollte es künftig zugehen.Die anfangs geplante Großunterkunft Weißdornstraße 102 mit 180 Plätzen passte nicht zu diesen selbst gesetzten Maßstäben. Auch, weil in der nicht so fernen Liliensteinstraße 15a in Grünau schon eine Großunterkunft mit 220 Plätzen besteht.Auch für die weniger großen unter den neuen Unterkünften bekam die Verwaltung nicht zur Zustimmung. Manche Entäußerung der letzten Monate erzeugte den Eindruck, als ginge es um die Standortfindung für das atomare Endlager, die in Deutschland seit Ewigkeiten läuft. Doch es geht nicht um hochradioaktive Kernbrennstäbe, die da in Leipziger Nachbarschaften verbracht werden sollen. Es geht stattdessen um Menschen, die ein Grundrecht in Anspruch nehmen. Nämlich das auf Asyl.
Wenn die Stadträtinnen und Stadträte am kommenden Mittwoch erneut zum Thema Asyl entscheiden, sind auch sie frisch gebackene Preisträger. Wie alle Leipzigerinnen und Leipziger, die EU-Bürger sind, übrigens auch. Denn am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, wird alljährlich in Oslo der Friedensnobelpreis vergeben. In diesem Jahr an die Europäische Union.Seit dem 1. Dezember 2009 hat die EU eine gültige „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“. Dort heißt es in Artikel 18: „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“Tag der Menschenrechte ist der 10. Dezember, weil an diesem Tag im Jahre 1948 die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedeten. Dort heißt es in Artikel 14: „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“Nun sind es zuallererst staatliche Autoritäten, die für die Gewährleistung von Grundrechten verantwortlich sind. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, heißt es noch immer im Grundrechtskatalog des deutschen Grundgesetzes. Ganz vorn und zentral also, und nicht so randständig wie in Leipzig die Torgauer Straße 290 liegt. Auch wenn aus dem heutigen Grundgesetz-Artikel 16a seit knapp zwei Jahrzehnten eher die vielen Wenns und Abers sprechen: Ein Grundrecht ist das Asylrecht in Deutschland noch immer.Die Unterbringung der Asylbewerber obliegt den Kommunen – als „weisungsgebundene Pflichtaufgabe“, wie es im Juristendeutsch heißt.
„Es ist für mich noch immer befremdend, wie die Stadt in dieser Angelegenheit als Bittsteller an die Bürger herantritt“, fasste Frank Kimmerle vom Erich-Zeigner-Haus-Verein seine Eindrücke von einer Informationsveranstaltung des Sozialamtes am Dienstag dieser Woche in Lindenau gegenüber L-IZ zusammen. Ihn stört dieses „Operieren aus der Defensive heraus“. Der Erich-Zeigner-Haus-Verein begrüßt nach den Worten seines Vorsitzenden Kimmerle „außerordentlich, dass eine menschenwürdige Einrichtung in der Georg-Schwarz-Straße 31 eingerichtet werden soll“.
So viel Einfühlungsvermögen wünschte man sich auch, wenn es um die Erhöhung von Steuern, Abgaben und Gebühren geht. Oder um Großprojekte, die in die Lebensqualität der Bürger eingreifen. So schätzt mancher Entscheidungsträger offenbar einen möglichen Asylprotest für relevanter ein als Steuerprotest, Verkehrsprotest oder Lärmprotest.Der Stadtbezirksbeirat Altwest sprach sich am 5. Dezember 2012 hingegen nach erneuter Befassung mit dem Thema mit sieben Ja-Stimmen und einer Enthaltung für den Standort an der Lindenauer Magistrale aus. „So, wie es uns jetzt angeboten wird, ist es annehmbar“, befand Linken-Beirätin Rita Adahchour in der Diskussion.„Wir haben eigentlich in Altwest gute Voraussetzungen, dass es gelingt“, schätzte SPD-Frau Eva Brackelmann ein. Sie setzt dabei auf eine aktive Bürger_Innenschaft und ein offenes Miteinander im Viertel. „Ansonsten gilt heute und in Zukunft weiter: Asylrecht ist Menschenrecht“, unterstrich die Sozialdemokratin.
(Gernot Borriss, 08.12.2012, Quelle: l-iz)