Sachsen zeigt sich in den vergangenen Tagen und Monaten meist von seiner gastfreundlichsten Seite, die Tourismuszahlen steigen im Freistaat. Es darf jeder herkommen. Wenn er ein Hotel mietet, das Bachfest oder die Semperoper besucht, einen Turn rings um die schönen Tagebaurestlöcher im Neuseenland macht und vor allem: Geld mitbringt. Da zeigt sich der Sachse weltoffen, flexibel und freundlich – der Kaffee geht auch mal aufs Haus. Es sei denn, man musste aus seiner Heimat flüchten.
Dann ist man bis hinauf ins CSU-geführte Innenministerium gern mal „bloß ein Wirtschaftsflüchtling“, „wandert in die Sozialsysteme ein“ oder will sich gleich bereichern und alles „überfremden“. Apropos fremd: Seit drei Tagen kursiert mal wieder eine nette Geschichte aus dem sächsischen Bad Schandau. Da hatten erst vor wenigen Tagen, wie das Hamburger Abendblatt berichtet, drei alkoholisierte Vorzeigenazis einen deutsch-chinesischen 15-Jährigen in einer Jugendherberge derart zugerichtet, seinen Kiefer gebrochen und seine Augenhöhle zertrümmert, dass er sich wohl davon länger nicht erholen wird. Die Klassenfahrt der Gymnasiasten in die Sächsische Schweiz endete wenig erbaulich, die Polizei kam erst 30 Minuten nach dem Notruf und der Verprügelte sah halt fremd aus.
Und das mag der ländliche Sachse offenbar nur, wenn er sicher weiß, dass es sich um einen Besuch handelt – einen möglichst lukrativen. Rackwitz wirbt gern mit der Schladitzer Bucht, ein wenig Aufschwung erhofft sich die 5.000-Seelen-Gemeinde dann doch in Kooperation mit dem Grünen Ring und dem „Neuseenland e.V.“. Dresden Klotzsche ist der Ort für den Dresdner Passagierflughafen und Wahren … Nun Wahren ist wohl ein Leipziger Sonderfall, wenn es um Gäste geht. Hier ist man mit einer 1.000-jährigen Geschichte rings um den Ortskern unterwegs, das muss vorerst genügen.
Allen drei kleinen Orten gemeinsam ist der nun offenbar auch in Rackwitz erfolgreiche Kampf gegen Aylbewerberheime. Was die Wahrener argumentativ clever vormachten, haben sie in Dresden-Klotzsche auch verstanden und nun wiederholt sich das Spiel, das keines ist, in Rackwitz. Nazis gäbe es nicht in Rackwitz – auch die lokale Ausgabe der LVZ assistiert seit Tagen fleißig beim Kampf um die Heimat, die Sicherheit der Kinder und der angestammten Rechte der Eingeborenen. Diese seien eben gegen Rassisten und Extremisten aus beiden Lagern, hier links und rechts gemeint.
Schon diese Grundformel versteckt sehr gut den eigenen Rassismus, der hinter zugezogenen Gardinen und in hochbeheckten Vorgärten der Häuslebauer blüht. Argumente für die Nichtaufnahme von Aylbewerbern sind dabei stets die gleichen: Grundsätzlich würde man zu spät informiert – um dann bei Information umgehend Bürgerinitiativen zu gründen und zu protestieren. Die Sicherheit sei nicht gewährleistet – die ganz Schlauen fügen „für die Asylbewerber“ hinzu. Die Schule sei zu nah an der Unterbringungsmöglichkeit. Ein Argument, welches alles mögliche Unausgesprochene unterstellt, ohne es zu benennen.
Wenn gar nichts mehr geht, wird die finale Front eröffnet: Es sei auch den Asylbewerbern nicht zuzumuten – eine dezentrale Unterbringung – allerdings nicht in der eigenen Umgebung! – sei dringend geboten. Und irgendwann kommt immer die NPD als vorgebliches Bollwerk vorbei, bestückt die Briefkästen, hüpft auf den letzten Waggon des fahrenden Zuges und jubelt am Ende, dass sie den wehrhaften deutschen Bürgern, von Rackwitzern bis LVZ-Redakteuren, wieder mal geholfen hat. Das scheint mittlerweile der leichte Weg, denn er funktioniert.
Die Bau- oder besser Sicherungskosten für solche Standorte wachsen zudem. Ein gern genutztes Argument, wie gerade in Dresden-Klotzsche, auch für die mittlerweile regelmäßig überfordert einknickende Politik. Die das Dilemma nicht zu lösen in der Lage scheint, zumindest nicht ohne Zugeständnisse statt Druck und knastähnlichen Aufbewahrungsstellen für Flüchtlinge.
Es wäre langfristig wohl angebracht, den Leuten auch und gerade vor Wahlen den Zusammenhang zwischen den Exporterfolgen, den Kriegen auf der südlichen Halbkugel, den deutschen Waffenlieferungen und den immer weiter anschwellenden Flüchtlingsströmen auf der Welt zu erklären. Aber das lässt man lieber, eine Debatte über das angeblich lasche Einwanderungsgesetz der Deutschen bringt schnellere Punkte, die Illusion einer Nation mit geschlossenen Grenzen gefällt nach wie vor vielen. Alles andere würde so manchen Wählerkopf sprengen und lässt ihn womöglich auf falsche Ideen beim Urnengang kommen. Eine echte Perspektive scheint also nicht gegeben, am Mittelmeer ertrinken offenbar noch genügend Flüchtlinge. Der Rest wird einkaserniert und zurückgeschickt – diese europäische Außenpolitik könnte auch die NPD nicht besser organisieren. Alles geht gut im Eurokern- und Wirtschaftswunderland, bis es konkret wird.
Denn dann scheinen Antworten zu fehlen. Derzeit auf die Frage, wo man in Sachsen nun die fünf geplanten Asylbewerberheime eröffnen möchte. Die Handlungsanweisung für die Bürger kommt gerade aus Rackwitz – zur Nachahmung sehr empfohlen, wenn man keine Asylunterkunft in der Nachbarschaft möchte. Auch die lokale Presse steht scheinbar bereit und unterstützt den Protest.
In der Tat sollte man wohl bei der Suche nach einer Unterbringung eher nicht nach Rackwitz schauen, die Flüchtenden haben bereits genug Feindseligkeiten erlebt und in der Gemeinde munkelt so mancher schon wieder von Feuer. Rostock-Lichtenhagen winkt am Horizont, die Stimmung scheint erneut aufgeheizt und entzündlich. Wieder geht es wie einst um die Unzufriedenheit der Bürger vor Ort – mit der Politik allgemein und mit der Idee einer Asylunterbringung im Besonderen. Bürgermeister solcher kleineren Gemeinden versuchen längst hinter den Kulissen, Standorte in den eigenen Orten zu verhindern.
Vielleicht also sollten die Leipziger mal ein Zeichen der Solidarität und Weltoffenheit setzen? Das sächsische Innenministerium sucht offenbar nach Alternativen, während sich viele kleinere sächsische Gemeinden mit Hilfe des „Rackwitzer Weges“ zu wehren wissen werden. Warum also nicht zwischen Kommune und Land verhandeln und eben auch entgegen der sonstigen Kassenausdünnung in den Kommunen und Gemeinden einen gemeinsamen Leipziger Weg erarbeiten? Einen, der die menschliche Unterbringung in Leipzig statt in einem Dorf mit Autobahnanschluss ermöglicht?
Mitten hinein in das urbane Stadtleben, am besten dahin, wo die sogenannten Gutverdiener in der Messestadt wohnen, auch Integration gelingt vielleicht leichter, wenn sie nicht von Unzufriedenheit und Neid geprägt ist? Die eher an ein Gefängnis erinnernden Plattenbauten in der Torgauer Straße könnte die Messestadt dann vielleicht gleich mit schließen, das Land Sachsen kommt ausnahmsweise seiner Verpflichtung nach und sendet mal mehr statt weniger Geld für die kommunalen Aufgaben? Würde alles etwas teurer als die Billigvariante im ehemaligen Berufsschulzentrum in Rackwitz, dafür erhielte Leipzig das Recht, bei der nächsten Gelegenheit den gerade mal 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegenden Ort einzugemeinden. Und sei es auch nur aus Jux.
Und zum Baden fahren die Leipziger im kommenden Sommer halt nicht mehr in die Schladitzer Bucht. Auf die Weltoffenheit der Leipziger könnte man sicher zählen. Oder nicht?
(Quelle: Kommentar von Michael Freitag)