Rackwitzer Bürger sind in Aufruhr. Aus einem ganz banalen Grund. Der Landkreis Nordsachsen plant ein ehemaliges Lehrlingswohnheim zu einer Sammelunterkunft für Asylbewerber umzufunktionieren. Das Fahrwasser einer rassistisch geprägten Debatte zieht kommenden Samstag eine Leipziger Demonstration in den Leipziger Vorort.
Ein Flyer bringt zum Ausdruck, was angeblich hunderte Einwohner denken. Das Bildungsniveau der Schule sei gefährdet, die Kriminalität werde zunehmen und die Asylbewerber würden ohnehin nur wegen der Sozialleistungen nach Nordsachsen ziehen. „Wir werden nicht von unserer Forderung zurückweichen, egal was Landrat Czebulla und co. dagegen argumentieren“, schreiben die anonymen Verfasser (Fehler im Original).
Woher die Unbekannten ihr Wissen über das Verhalten der künftigen Nachbarn nehmen, verraten sie nicht. Dass der Flyer rasch zusammengepuzzelt wurde, zeigen Orthografie und Grammatik und auch der Name des nordsächsischen Landrates lautet eher Michael Czupalla (CDU).
Die Argumentationslinie selbst deckt sich mit der der rechtsextremen NPD. Die Neonazi-Partei sorgte zuletzt in Berlin-Hellersdorf für Aufsehen. Dort gründeten Rechtsextremisten eine Bürgerinitiative und schürten unter Einwohnern des Stadtteil aktiv die Ängste und Sorgen von Anwohnern gegen eine geplante Sammelunterkunft. In Berlin wie auch nun in Rackwitz ist vermehrt die Rede davon, dass man gern eher informiert worden wäre.
Fakt ist, dass die Rackwitzer eifrig Unterschriften gegen das geplante Heim gesammelt haben. Immerhin 1.200 Bewohner der 5.000-Seelen-Gemeinde unterzeichneten eine Petition. Rund ein Viertel der Einwohner ist also gegen das Heim. Bei einer Bürgerversammlung Ende August machten 300 Bürger ihrem Unmut Luft. Hier war unter Anderem auf einmal von fehlenden Kinderspielplätzen die Rede, von fehlendem Geld in der Gemeinde und so malten einige das Bild „aber dafür ist Geld da.“ Wie noch im vergangenen Jahr in Wahren tauchen in einem Video von der Veranstaltung die immer gleichen Argumente auf – auch das Sicherheitsargument kommt wie aufs Stichwort.
Unterstützung erfährt der Aufstand dieser Tage ausgerechnet durch die „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ). Statt die fremdenfeindlichen Ressentiments zu entkräften, kommentierte Lokalreporter Frank Pfütze am Mittwoch ganz im Sinne der Heimgegner: „Die Unterzeichner sind Rackwitzer und keine Nazis! Und deren Wille sollte Gewicht haben, sonst dominieren der braune und rote Abschaum und der Mob auch zukünftig die Nachrichten im Ort bei diesem brisanten Thema. Bürgermeister Manfred Freigang hat zu spät reagiert, zu lange abgewartet und damit viel Vertrauen, Verständnis und Akzeptanz verspielt.“
Die Frage ob eine – ebenfalls durch viele Rackwitzer nun analog zur Wahrener Argumentation eingeforderte – frühzeitige Information an den Ängsten der Rackwitzer geändert hätte, bleibt dabei mehr als nur offen.
Und tatsächlich scheint es, als hätten die Bürger ihr Ziel erreicht. Nach LVZ-Angaben läge der Kreisverwaltung seitens des potenziellen Betreibers, der „KVW Beherbergungsbetriebe GmbH“, bisher kein Bauantrag vor. Der Landkreis Nordsachsen äußerte sich auf L-IZ – Nachfrage bislang nicht zu dem Thema.
Ende gut, alles gut? Mitnichten. Die NPD wittert in Rackwitz Morgenluft. Wie überall, wo sich Anwohner gegen die Errichtung von Asylbewerberunterkünften wehren, gehen die Rechtsextremisten im Fahrwasser auf Stimmenfang. Für Samstag hatte die Partei in Rackwitz einen Infostand angemeldet. Am Freitag-Abend sagten die Neonazis ihre Kundgebung überraschend wieder ab. „Nach einvernehmlicher Absprache mit den Einwohnern und der Bürgerinitiative hat der NPD-Kreisverband Nordsachsen beschlossen, den Infostand morgen abzusagen, um dem linken Pöbel kein direktes Angriffsziel zu bieten“, teilte Parteisprecher Jürgen Gansel mit.
Stattdessen habe die Partei diese Woche gleich zwei Mal sämtliche Briefkästen mit Flyern bestückt. „Einen größeren Werbeeffekt kann auch ein Informationsstand nicht haben“, so Gansel zum geschickten Spiel der Rechten mit den Befürchtungen der Bürger.
Rackwitz erhält morgen dennoch politischen Besuch. Ein linkes Bündnis, vornehmlich aus Leipziger Gruppen, ruft zu einer Demonstration auf. Das leider berechtigte Motto: „Progrome verhindern, bevor sie passieren.“ Auf die Sorgen der Heimgegner, gehen die Veranstalter in ihrem Aufruf freilich mit keiner Silbe ein. Stattdessen werden die Einwohner als homogener, rassistischer „Mob“ bezeichnet, dem die Kommunalpolitik anderntags egal sei. Wobei sie damit durchaus Recht haben könnten – doch hier stehen im Gefühl vieler Rackwitzer offenbar Haus und Hof auf dem Spiel. Und die Zukunft der eigenen Kinder. Das mag nicht realistisch sein – doch die Stimmung ist deutlich aufgeheizt, da ist scheinbar kein Platz mehr für Mitgefühl mit Asylbewerbern. Zeit zum Kennenlernen will sich offenbar auch niemand nehmen.
Die Demonstranten werden am Samstag kommen. Während diese am Ende des Tages wieder ihrer Wege gehen, bleiben die Rackwitzer zurück. Und mit ihnen ihre Angst vor den Fremden, den Unbekannten und angeblich sinkenden Immobilienpreisen. Die NPD dürfte in Nordsachsen auch weiterhin leichtes Spiel haben.
Zum Youtube-Video (Tonspur) Bürgerversammlung in Rackwitz zum Thema
Rackwitz 28.8.2013 – Bürgerversammlung
(Quelle: l-iz.de; Martin Schöler & Michael Freitag; 13.09.2013)