Interview mit der ver.di-Jugend: „“Jeder profitiert von Nachbarschaften, in denen man offen aufeinander zugeht.““

Interview mit Daniel, der sich im Initiativkreis: Menschen.Würdig. aus Leipzig engagiert.

Die Auseinandersetzung rund um eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Hellersdorf zieht bundesweit das öffentliche Interesse auf sich. Dabei stehen die Ereignisse in Hellersdorf nur stellvertretend für einen Konflikt, der sich gerade in vielen Städten anbahnt. In Leipzig beispielsweise entstand daraus der Initiativkreis: Menschen.Würdig.

aktiv-gegen-diskriminierung.info: Anfang 2012 plante die Stadt Leipzig eine marode Sammelunterkunft für Asylsuchende zu schließen und sie stattdessen dezentral im Stadtgebiet unterzubringen – mittlerweile eine beschlossene Sache. Auch im Stadtteil Wahren, wo die fremdenfeindliche Bürgerinitiative ihren Sitz hat, wird eine Unterkunft eröffnet. Wie ist jetzt die Stimmung dort?

Daniel: Die Unterkunft in der Wahrener Pittlerstraße öffnet frühestens Ende dieses Jahres – wir gehen eher von einer Eröffnung im nächsten Jahr aus. Seit die mediale Debatte abgenommen hat, wurde deutlich, dass Wahren heterogener ist, als es manche gerne glauben machen wollten. Auch hier gibt es viele Menschen, die sich über ihre neuen Nachbarn freuen oder zumindest kein Problem damit haben, wenn Asylsuchende in ihre Nachbarschaft ziehen.

aktiv-gegen-diskriminierung.info: Was tut ihr konkret, um den Vorbehalten gegen Asylsuchende in Wahren zu begegnen?

Daniel: Bei der Diskussion mit Gegner_innen des Dezentralisierungskonzepts ist uns immer wieder aufgefallen, dass es beim Thema Asyl sehr viel Unwissenheit gibt. Daher arbeiten wir gerade an einem Flyer, der darüber aufklären soll, was Asyl in Deutschland eigentlich bedeutet: Was heißt Asyl, welche Gründe gibt es für Menschen, ihre Heimat zu verlassen, wie verläuft ein Asylverfahren und wie sehen die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland überhaupt aus.

aktiv-gegen-diskriminierung.info: Erzähl doch mal von eurer Veranstaltungsreihe „Auf gute Nachbarschaft“!

Daniel: Seit April dieses Jahres lädt der Initiativkreis: Menschen.Würdig. im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Auf gute Nachbarschaft“ zur Auseinandersetzung mit den Themen Asyl, Flucht, Migration und Rassismus ein. Nach der Lesung aus dem Buch „Kaltland“ und einem Vortrag zu Todesopfern rechts- und rassistisch-motivierter Gewalt zeigten wir den Film „Almanya – Willkommen in Deutschland“ als Open-Air-Kino.

Gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Stadtteils Wahren und Umgebung möchten wir über bestehende Vorbehalte und vor allem über Perspektiven eines offenen Miteinanders im Stadtteil sprechen. Die Veranstaltungsreihe soll auch zeigen, dass es etliche Menschen in Wahren gibt, die ihren neuen Nachbarinnen und Nachbarn offen gegenübertreten. Diese Menschen sollen eine Plattform bekommen, um ein vorurteilsfreies, respektvolles und gutes Zusammenleben im Stadtteil zu fördern.

In den nächsten Monaten wird es eine Ausstellung, eine Theateraufführung und ein Stadtteilforum geben. Dabei können die Bewohner_innen von Wahren und Umgebung eigene Ideen entwickeln, wie sie ihren Stadtteil aktiv mitgestalten, um so die Lebensbedingungen aller zu verbessern.

aktiv-gegen-diskriminierung.info: Wie profitieren deiner Meinung nach Menschen in multi-ethnischen Nachbarschaften voneinander?

Daniel: Grundsätzlich lehnen wir es ab, Menschen nach „Nützlichkeitskriterien“ zu bewerten. Trotzdem zeigen Studien, dass Menschen, die in multi-ethnischen Nachbarschaften wohnen, weniger Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund haben. Und schlussendlich profitiert doch jeder von Nachbarschaften, in denen man offen aufeinander zugeht, sich gegenseitig hilft, zusammen feiert und Konflikte gemeinsam löst.

aktiv-gegen-diskriminierung.info: Wie können sich Menschen, die Asylsuchende unterstützen möchten, bei euch engagieren?

Daniel: Partizipieren können sie vor allem beim Stadtteilforum. Dort wird es für die Menschen aus Wahren die Möglichkeit zum Austausch und zur Ideenentwicklung geben. Vielleicht möchte ja die eine oder andere Kleingärtnerin mit den Geflüchteten gemeinsam Gemüse anbauen. Auf die kreativen Ideen der Menschen aus dem Viertel sind wir schon sehr gespannt.

Aber auch bei uns im Initiativkreis: Menschen.Würdig. freuen wir uns immer wieder auf neue Unterstützung. Durch den Gewinn des sächsischen Demokratiepreises im Jahr 2012 konnten wir ein Wohnmobil erwerben, das in Zukunft den Geflüchteten vor den Unterkünften Rechtsberatung anbieten wird. Denn auch, wenn es in Leipzig eine soziale Betreuung in den Heimen gibt, dürfen diese Beschäftigten keine Rechtsberatung anbieten. Und das, wo es sich beim Asylverfahren um ein rechtliches Verfahren handelt! Vor allem bei diesem Projekt würden wir uns also über viele neue Mitstreiter_innen freuen.

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