Initiativkreis: Menschen.Würdig. fordert sebstbestimmtes Wohnen statt neuer Sammelunterkünfte
Im Leipziger Stadtrat soll am 23.3.2016 über zwei Bauprojekte für Unterkünfte für Geflüchtete entschieden werden. Auf dem Grundstück ‚Prager Dreieck‘ sollen mindestens 364 und in der Diezmannstraße 12 zirka 500 Geflüchtete in Neubauten untergebracht werden. Insgesamt kosten die Vorhaben die Stadt 6,7 plus mindestens 8,3 Millionen Euro.
Der Initiativkreis: Menschen. Würdig. hält dies für eine falsche Richtungsentscheidung: „Sammelunterkünfte sind und bleiben die falsche Form der Unterbringung von Geflüchteten. Ein zentraler Schritt zur gleichberechtigten Teilhabe ist das selbstbestimmte Wohnen in eigenen Wohnungen. Anstatt Millionen von Euro in Unterkünfte zu investieren, die
der Isolation Vorschub leisten und in höchstem Maße desintegrierend wirken, sollte die Stadt alle Kraft in den Neubau von Wohnungen stecken und beim Freistaat noch mehr Druck für soziale Wohnraumförderung machen. Wohnungen sind die richtige Alternative zu Sammelunterkünften.“ so Kim Schönberg.
Zwar ist die Abkehr von der Idee, gebrauchte Büromodule einzusetzen, begrüßenswert. Statt neue Häuser zu bauen, die „später an anderen Orten weitergenutzt werden“ (so der Leiter der städtischen Projektgruppe Asylräume) ist jedoch die Förderung von mehr bezahlbaren Wohnraum für alle nachhaltiger, integrativer und somit sinnvoller.
Doch es geht nicht nur um die reine Bautätigkeit. Dies ist die Erkenntnis des am Samstag stattgefundenen Symposiums „Das Wohnen lernen?“ zur Unterbringungspraxis von Geflüchteten und Wege zum selbstbestimmten Wohnen des Initiativkreis: Menschen. Würdig., das zusammen mit dem Kulturbüro Sachsen veranstaltet wurde. Daran nahmen zirka 150 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet teil. In verschiedenen Beiträgen wurde die Massenunterbringung von Geflüchteten und ihre Ursprünge und Auswirkungen kritisch beleuchtet.
Diese gegenwärtige Praxis scheint sozialpolitisch der Wohnungslosenhilfe entlehnt, nach der sich Menschen erst „bewähren“ müssen ehe sie ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden beginnen können. Paradigmatisch dafür steht die so genannte Wohnfähigkeitsprüfung, mit der die „Wohnfähigkeit“ von Geflüchteten nach fragwürdigen Kriterien überprüft wird. In Potsdam wurde dieser Praxis durch ein Rechtsgutachten, nach dem diese Prüfung gegen das Grundgesetz und den Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, Einhalt geboten. In Leipzig müssen Geflüchtete ein solches Prüfverfahren weiterhin durchlaufen, ehe sie in Wohnungen ausziehen dürfen. Demgegenüber steht der so genannte „Housing First“-Ansatz, den der US-amerikanische Psychologe Sam Tsemberis vorstellte. „Housing First“ bedeutet begleitetes Empowerment. Geflüchtete würden sofort in Wohnungen ziehen und die soziale Betreuung würde individuell und in Zusammenarbeit mit den Geflüchteten gestellt.
Kim Schönberg: „Housing First konnte sich in der Obdachlosen-Hilfe durchsetzen und wird inzwischen auch in Europa in anderen Bereichen sozialer Arbeit angeboten. Auch für das Wohnen Geflüchteter ist dieser Ansatz der Richtige. Die Menschen werden nicht entmündigt, sondern stark gemacht ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Dafür ist aber eine bedürfnisorientierte soziale Betreuung nötig. In Leipzig gibt es bisher lediglich 4 halbe Stellen, die über 1700 dezentral – also in Wohnungen – lebende Geflüchtete unterstützen.“
Abgetrennte Wohneinheiten, wie sie in dem neuen Bauvorhaben geplant sind, sollten als Mindeststandard selbstverständlich sein. Dass sich Leipzig damit brüstet, ganze 1,5m² über dem sächsischen Standard und damit bei 7,5 m² Wohnfläche pro Person, zu stehen ist zynisch und absurd.
Der Initativkreis: Menschen.Würdig. wird die Unterbringungspraxis der Stadt Leipzig weiter kritisch-konstruktiv begleiten: „Es geht darum weg zu kommen von der reinen Unterbringung von Menschen – als wenn jene reine Objekte wären, die auf einer definierten Quadratmeterzahl gelagert werden müssten. Selbstbestimmtes Wohnen für alle muss stattdessen das Ziel sein.“