Wir dokumentieren hier das Gutachten zur Rechtmäßigkeit der Sozialprognose für Bewohner*innen von Gemeinschaftsunterkünften der Stadt Leipzig. Dieses kann hier in Gänze heruntergeladen werden.
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Zusammenfassung des Gutachtens zur Rechtmäßigkeit der Sozialprognose für Bewohner*innen von Gemeinschaftsunterkünften der Stadt Leipzig
Wenn Bewohner*innen aus Gemeinschaftsunterkünften und Geduldete in eine eigene Wohnung ziehen wollen, war es laut Unterbringungskonzept der Stadt Leipzig bisher nötig gewesen, dass eine Sozialprognose – oder auch „Wohnfähigkeitsprüfung“ – positiv ausgestellt wird. Das vorliegende Gutachten prüft dieses Vorgehen auf seine Rechtmäßigkeit. Die Prüfung bezieht sich v.a. auf rechtliche Aspekte.
Generelle Unterbringungspraxis in Deutschland und Sachsen
Das Bundesgesetz (§ 53 Asylgesetz (AsylG) 1) ist die rechtliche Grundlage für die Unterbringung von Asylsuchenden. Das Gesetz sieht vor, dass „Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben und nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, […] in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.“ Jedes Bundesland entscheidet dabei eigenständig darüber, wie diese Grundlage umgesetzt wird. In Sachsen ist die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften die Regel. In Einzelfällen können Asylsuchende und geduldete Personen auch dezentral untergebracht werden. Dabei sind „sowohl das öffentliche Interesse als auch Belange des Ausländers zu berücksichtigen“ (gemäß § 53 Abs. 2 AsylG). Das Sächsische Staatsministerium des Inneren ergänzt dazu, was einen Einzelfall ausmacht: „Asylbewerber und geduldete Ausländer sollen im Einzelfall außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden, wenn amtsärztlich aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung zur Besserung des Gesundheitszustandes, zur Ermöglichung der vollständigen Genesung oder aus humanitären Gründen die Unterbringung außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft empfohlen oder vorgeschlagen worden ist“ (Erlass vom 31.01.2001). Für die Bearbeitung der Anträge auf dezentrales Wohnen sind in Sachsen die kreisfreien Städte und Landkreise als untere Unterbringungsbehörden zuständig (§ 2 des Gesetzes zur Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Flüchtlingsaufnahmegesetz)).
Unterbringung in Leipzig
Die Stadt Leipzig spricht sich grundsätzlich dafür aus, dass Asylsuchende dezentral Wohnen dürfen, entsprechend wird die Rechtsgrundlage auch umgesetzt. Das
Konzept „Wohnen für Berechtigte nach Asylbewerberleistungsgesetz in Leipzig“ (beschlossen im Juli 2012 und Fortgeschrieben im November 2013) sieht vor:
„Unter Ausnutzung des durch die rechtlichen Bedingungen vorgegebenen Gestaltungsspielraumes wird jede Form der Unterbringung genutzt und so
ausgestaltet, dass ein höchstmögliches Maß an Privatsphäre und selbstbestimmtem Leben gewährleistet ist.“ Dabei wird der Einzelfall geprüft. Für Familien mit
Kindern, wenn eine Person eine Ausbildung oder ein Studium ausübt oder wenn Konflikte in der Gemeinschaftsunterkunft bestehen, die auf Diskriminierungen
basieren, liegen „humanitäre Gründe“ vor und auch dann ist es möglich aus der Gemeinschaftsunterkunft in selbstangemieteten Wohnraum in kommunal
angemietete Gewährleistungswohnungen auszuziehen. Zu den Voraussetzungen für den Umzug zählt neben einer bestimmten Aufenthaltszeit in der
Gemeinschaftsunterkunft auch eine Sozialprognose, die durch den Träger der Sozialbetreuung in der Gemeinschaftsunterkunft erstellt wird: „Jede Entscheidung über den Auszug in eigenen Wohnraum erfolgt im Ergebnis einer Einzelfallprüfung und unter Beachtung einer Sozialprognose, die in jedem Fall durch die soziale
Betreuung zu erstellen ist.“
Im Rahmen der Sozialprognose bewerten die Sozialarbeiter*innen in den Gemeinschaftsunterkünften die Geflüchteten mittels eines Fragebogens. Mit drei
verschiedenen Smileys werden unter anderem die Fähigkeit zur „Bereitschaft zur Kooperation und Kommunikation bei Problemsituationen“ „Mülltrennung /
Ordnungsgemäße Entsorgung“, der Besuch einen Deutsch-Sprachkurses oder individuelle Problemlagen (Sucht oder psychische Auffälligkeiten) bewertet.
Zusammen mit dem Antrag auf dezentrales Wohnen muss eine Person oder eine Familie ein Wohnungsangebot und auch die Sozialprognose beim Leipziger
Sozialamt einreichen. Wenn die Sozialprognose positiv ausgefallen ist, und nichts anderes dagegen spricht, darf die Person oder Familie ausziehen und eine eigen Wohnung beziehen. Wenn die Sozialprognose negativ ist, dann muss die Person oder Familie in der Gemeinschaftsunterkunft bleiben und es werden
Trainingsmaßnahmen eingeleitet.
Zur Begründung zur Erhebung einer Sozialprognose wird angeführt, dass einzuschätzen ist, ob die Person, die aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen
will „in der Lage ist, mit den Anforderungen selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Wohnens zurechtzukommen“, wie es im
Unterbringungskonzept heißt.
Rechtliche Bewertung
Grundsätzlich wird das Ziel des Unterbringungskonzeptes der Stadt Leipzig, asylsuchende und geduldete Personen frühzeitig das Leben in eigenen Wohnraum
zu ermöglichen, aus grund- und menschenrechtlicher Perspektive begrüßt. Ebenso sind eine Betreuung und Unterstützung, die an den Bedürfnissen von geflüchteten Menschen orientiert ist und verhältnismäßige Ermessensentscheidungen begrüßenswert. Ferner stellt das Unterbringungskonzept der Stadt Leipzig eine Verbesserung zu der sonst in Sachsen üblichen gesetzmäßigen Unterbringungspraxis dar. Formale Mängel an der Praxis der Sozialprognose gibt es
nicht.
Die rechtliche Prüfung hat allerdings ergeben, dass die gewählten Mittel und Wege, der Inhalt und der Ablauf der Sozialprognose, weder geeignet noch angemessen sind, um die Ziele zu erreichen, die mit der Sozialprognose angestrebt werden. Deshalb empfehlen die Verfasser*innen des Gutachtens ganz auf die Erhebung der Sozialprognose zu verzichten. Dabei beziehen sie sich im wesentlichen auf drei rechtliche Apekte.
[1] Diskriminierung wegen der Sprache
Für eine Sozialprognose beantworten die Sozialarbeiter*innen Fragen nach den Sprachkenntnissen, bzw. dem regelmäßigen Besuch von Sprachkursen. Diese
Berücksichtigung der Sprachkenntnisse verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung wegen der Sprache (Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 18 Abs. 3 SächsVerf). Kein Mensch darf auf Grund der Sprache benachteiligt werden, also auch nicht asylsuchende oder geduldete Personen. Wenn zum Beispiel eine Person aus den USA stammt und nur Englisch spricht, darf auch dieser Person kein Mietvertrag in einer eigenen Wohnung verwehrt werden, nur weil sie keine deutschen Sprachkenntnisse vorweisen kann.
[2] Mittelbare Rassistische Diskriminierung und Verstoß gegen die allgemeinen Gleichheitssätze
Eine Sozialprognose müssen ausschließlich asylsuchende und geduldete Personen vorweisen. Daher betrifft diese Praxis selektiv nur Menschen mit bestimmten
Staatsangehörigkeiten, niemals aber Menschen mit deutscher oder EU-Staatsangehörigkeit. Die Prognose ist aber zwingend nötig, bevor die Personen
Wohnraum mit eigenen Mietvertrag beziehen können. Zum einen stellt die Sozialprognose damit eine mittelbare rassistische Diskriminierung dar ( Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 18 Abs. 3 SächsVerf). Denn die Fragen, die durch die Sozialarbeiter*innen beantwortet werden müssen, suggerieren, dass die betroffene Gruppe besonders größere, bzw. besonders häufig soziale Probleme im Vergleich zu anderen Menschen in Deutschland hat, wie zum Beispiel die Fragen nach dem Konfliktlösungsverhalten und dem respektvollen Umgang mit anderen Menschen, aber auch die Fragen nach Ordnung und Sauberkeit.
Zum anderen verstößt die Anfertigung einer Sozialprognose gegen die allgemeinen Gleichheitssätze des Verfassungsrechts (Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 18 Abs. 1 SächsVerf). Denn die die Staatsangehörigkeit hängt von den Eltern oder dem Geburtsort ab, und kann damit wenig beeinflusst werden. Hierbei werden asylsuchende und geduldete Menschen benachteiligt, weil sie allein aufgrund Ihres Status eine solche Sozialprognose vorbringen müssen, bevor sie aus einer Gemeinschaftsunterkunft ausziehen dürfen.
[3] Verstoß gegen allgemeines Persönlichkeitsrecht und Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Die Sozialarbeiter*innen müssen zum Anfertigen der Sozialprognose wissen, ob die betreffende Person Deutsch spricht und wie gut die Kenntnisse sind, bzw. ob sich die Person bemüht, Deutschkenntnisse zu erwerben. Über die Kenntnisse müssen sie Dritten, quasi Unbeteiligten Auskunft erteilen. Dazu gibt es aus datenschutzrechtlicher Perspektive Bedenken, denn es fehlt die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, um diese Daten zu erheben und diese weiterzugeben.