In der neuen Asylbewerberunterkunft Riebeckstraße haben sich die ersten Bewohner eingerichtet
Stippvisite an einem ganz normalen Vormittag. Beim Eintritt wird spürbar – die Atmosphäre ist entspannt. In den zurückliegenden Jahren war das nicht unbedingt so, betrat man eine der Asylbewerberunterkünfte in Leipzig. Jetzt hat die Stadt in der Riebeckstraße 63 ein solches Quartier eingerichtet. Eine der alten Backsteinvillen im parkigen Areal, dessen wechselvolle Geschichte von der 1892 eröffneten „Zwangsarbeitsanstalt St. Georg“ bis zum Wohnprojekt der städtischen Behindertenhilfe reicht, wurde hergerichtet und beherbergt seit Mitte April die ersten 40 Bewohner.
Aus sechs Nationen – Tschetschenien, Tunesien, Pakistan, Syrien, Iran und Afghanistan – kommen sie; die meisten direkt aus der Chemnitzer Erstaufnahmeeinrichtung des Freistaates. Im ersten Stock sind vorwiegend Familien, im zweiten Einzelpersonen untergebracht. Pro Etage gibt es helle, geräumige Gemeinschafts-Küchen, -Duschen und -Toiletten. Alles blitzeblank. Hausleiter Alexander Melzer vom Trägerverein Pandechaion-Herberge schmunzelt: „Eine angestellte Reinigungskraft sorgt dafür. Für ihre Zimmer sind die Bewohner aber selbst zuständig.“ Abgesehen davon: „Ein Palast ist das hier nicht“, meint er. Die Stadt habe zwar „viel reingesteckt“. Aber manches sei schon noch zu richten. Sein Blick fällt auf Türen, deren Farbe blättert. „Das möbeln wir jetzt halt so peu á peu mit den Asylbewerbern zusammen auf.“
„Wir helfen uns hier untereinander“, erzählt der junge Pakistaner Salman. Im fast perfekten Deutsch. Obwohl er erst vor zwei Monaten ankam. „Sie wissen ja sicher, was derzeit in meiner Heimat los ist“, winkt der 25-Jährige ab. „Meine Eltern hatten mich zunächst nach Russland geschickt, wo ich zehn Semester Medizin studierte. Ich will Allgemeinmediziner werden. Aber dort war ich zuletzt nicht mehr sicher, kam deshalb hierher. Deutsch habe ich mir autodidaktisch beigebracht. Das war mir wichtig.“ Aktuell bemüht er sich, an der Leipziger Uni weiterstudieren zu können. Ein bisschen aufgeregt ist er: „Heute Nachmittag soll ich dafür im Goethe-Institut die C1-Berufung kriegen!“ Gerade hat Salman noch einen prüfenden Blick auf Landsmann Sultan (19) geworfen, dem vor drei Tagen im St.-Elisabeth-Krankenhaus ein Gallenstein entfernt worden war und der noch etwas blass umherschleicht. „Mit den Kenntnissen, die ich schon hatte, wurde ich in Chemnitz gleich in den Med-Punkt eingebunden“, erzählt Salman. Wobei wohl von Vorteil war, dass der junge Mann – neben Deutsch noch zig andere Sprachen spricht. Urdu, Englisch, Russisch, Arabisch In Salmans Zimmer – das Mobiliar besteht aus einem kleinen Tisch, einem Stuhl, einem Kühlschrank, einer Bettstatt und einer Reispapierlampe an der Decke – finden sich denn auch eher Bücher. Der junge Mann büffelt offensichtlich, was das Zeug hält.
„Ich war schon in anderen Unterkünften in Sachsen, auch in Leipzig in der Lilienstein- und Torgauer Straße. Aber das hier ist das beste Haus! Es ist sauber, man hat ein Zimmer für sich, muss es nicht mit zwei, drei anderen Leuten anderer Kulturen teilen. Hier gibt es jederzeit hilfreiche Mitarbeiter. Und 24 Stunden einen Wachdienst!“, schwört Salman. „Hier fühle ich mich sicher.“
Während an diesem Vormittag die Kinder in der Schule sind, die Frauen ihre Wäsche aufhängen, sich der Tunesier Jamal (29) in einer der Küchen zu Mittag zwei Fladen aus Öl und Mehl in der Pfanne bäckt, liegt draußen bleierne Hitze über den Parkanlagen. Zuletzt waren die heftig verwildert. Zwei Drittel wurden vom mannshohen Gras schon befreit. „Dort hinten“, zeigt Melzer, „machen wir uns noch einen Fußballplatz“. Auf frisch angelegten Beeten sprießen derweil Tomaten, Paprika und Gurken. Schweißtriefend stützt sich Salah (58) kurz auf den Hackenstiel. „Das Gemüse ist für alle – falls es gedeiht!“, dolmetscht Melzer das Französisch des Tunesiers. Landsmann Ramzi (31) wässert fachmännisch die Jungpflanzen. „Bei uns Zuhause haben alle ja auch Felder, warum soll das hier nichts werden?“ Und Salim (22), der sich ein Stück hin anschickt, dem Urwald weitere Ackermeter abzugewinnen, beruft sich auf seine Eltern, die Landwirte seien. Die drei Männer haben ihre Heimat, in der „nach der Revolution immer mehr das Regime der Moslems und Salafisten Oberhand gewinnt“ und sie um Kopf und Kragen fürchteten, verlassen. „Ich bin froh, wenn ich mich hier betätigen kann, mich nicht auf der Straße verlieren muss, wenn ich als Asylbewerber schon nicht arbeiten darf“, sagt Salah.
Auch Melzer hat noch zu tun. Gleich kommen Leute vom Bürgerverein Messemagistrale. Die wollen einen Tag der offenen Tür machen – die „Riebeckstraßler“ wollen sich einbringen. Schnell wechselt Melzer diesbezüglich noch ein paar Worte mit Alya Marrackchi. Die Libanesin ist schon zig Jahre in Leipzig, gehört als Kulturmittlerin zu insgesamt vier angestellten Sozialbetreuern, die sogar samstags verfügbar sind. Denn ist ab August ein zweites Gebäude auf dem Gelände hergerichtet, werden hier insgesamt 115 Asylbewerber wohnen. Angelika Raulien