Wir haben erfahren, dass im Moment in Leipziger Gemeinschaftsunterkünften ein Flugblatt verteilt wird. Mit diesem versuchen Mitarbeiter*innen des Leipziger Flüchtlingsrats präventiv gegen „Gewalt und sexuelle Übergriffe“ speziell an den kommenden Feiertagen an die Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, zu appellieren. Das Flugblatt wird auch durch Mitarbeiter*innen des Sozialamtes verteilt, und erweckt so den Eindruck einer städtischer Initiative.
Wir sind vorsichtig ausgedrückt sehr verärgert über das Vorgehen des Leipziger Flüchtlingsrats, dieses Anliegen auf diese Weise und ausschließlich an Geflüchtete zu richten. Das Flugblatt und die gezielte Verteilung in Gemeinschaftsunterkünften ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Wir können und möchten nicht auf alle problematischen Aspekte eingehen und somit doch in die gleichen Kerben schlagen wie das Flugblatt. Aber wir müssen entschieden widersprechen!
Die Bewohner*innen werden mit dem Flugblatt in eine Art Sippenhaft genommen. Es wird pauschalisierend davon ausgegangen, dass die Bewohner*innen es nötig hätten, daran erinnert zu werden, dass Gewalt und sexuelle Übergriffe nicht ok sind. Wir entgegnen: Die Herkunft von Personen schützt genau so wenig davor wie sie vorbestimmt, Opfer und/oder Täter*in von Gewalt und sexualisierter Gewalt zu sein. Der Flüchtlingsrat macht mit seinem Brief nichts anderes als alle Geflüchteten als potentiell übergriffig und gewalttätig zu stigmatisieren und etikettiert in Anleihen zur Silvesternacht in Köln. Dabei wissen wir nur zu gut, dass diese Probleme und Sexismus die gesamte Gesellschaft durchziehen und tief liegende Wurzeln haben.
Der sich im Flugblatt wiederfindende Verweis auf eine „orientalische Tradition“ ist – egal mit welcher bemüht positiven Konnotation – nichts anderes als kulturalistisch rassistisch und das Spiegelbild von negativen Zuschreibungen an Menschen „aus außereuropäischen Kulturkreisen“.
Das Flugblatt wurde auf Arabisch, Farsi und Kurdisch übersetzt. Die deutsche Version enthält keine direkte Ansprache, sondern gibt den Appell lediglich in indirekter Rede wieder. Bedeutet das, dass Menschen, die Deutsch sprechen, nicht darauf hingewiesen werden sollten, dass Gewalt und sexuelle Übergriffe bitte zu unterlassen sind? „Wir“ gegen „die anderen“?
Warum muss der Appell in den Kontext der Übergriffe der vergangenen Silvesternacht gestellt werden? Es ist immer zwingend notwendig, sich gegen Gewalt und sexuelle Übergriffe zu stellen, nicht nur zu Feiertagen.
Nicht zuletzt kritisieren wir als IKMW die Demut, die der Flüchtlingsrat bezüglich der „Aufnahme so vieler geflüchteter Menschen“ abverlangt. Asyl ist kein Gnadenakt, sondern ein Menschenrecht. Nicht zuletzt verharmlost der Verein damit die Verschärfung der Asylgesetze in den letzten beiden Jahren, reproduziert die rassistische Hetze von rechts und entsolidarisiert sich mit den Kämpfen gegen die rassistische und repressive Asylpolitik der deutschen Bundesregierung.
Wir fordern den Flüchtlingsrat auf das Flugblatt zurückzuziehen. Es ist blamabel, dass das Sozialamt erst auf den problematischen Inhalt hingewiesen werden muss. Wir fordern die Verteilung dieses Briefes sofort zu stoppen.