Die Menschenrechte der Asylsuchenden werden aufgrund der aktuellen Notunterbringung in Turnhallen, Zelten und Messehallen weitestgehend ignoriert. Eine jahrelange Fehleinschätzung der Fluchtbewegungen wird nun durch schlechte Unterbringungsverhältnisse zu Lasten Geflüchteter ausgetragen. Ergänzend zu den Vorschlägen, wie eine Erstaufnahme zukünftig gestaltet werden sollte, wird im Folgenden der Sachstand im Lichte der Menschen- und Verfahrensrechte betrachtet, um die kurzfristig dringend notwendigen Veränderungen der Situation aufzuzeigen.
A. Menschenrechtliche Verpflichtungen
Die Bundesrepublik, die Bundesländer und auch die Kommunen sind an die Berücksichtigung der Menschenrechte verpflichtet, sobald sie nach Art. 59 Abs. 2 GG als Bundesgesetz verabschiedet werden. Dies betrifft die internationalen Menschenrechtskodifikationen des Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Zivilpakt), im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Sozialpakt), in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie der europäischen Grundrechtecharta (GRCh) [1], in der UN-Frauenrechtskonvention, in der UN-Behindertenrechtskonvention oder in der UN-Kinderrechtskonvention. [2]
Im Folgenden sollen die einzelnen menschenrechtlichen Verpflichtungen dargestellt werden und Bezug auf die aktuelle Unterbringung genommen werden. Vorweg kann allgemein auf das Recht auf angemessene Unterbringung aus Art. 11 Abs. 1 des UN-Sozialpaktes, Art. 25 UN-Kinderrechtskonvention hingewiesen werden. Als Recht für jede Person ist dieses diskriminierungsfrei zu gewähren. Die aktuelle mehrmonatige Massenunterbringung Geflüchteter in ehemaligen Baumärkten, Zelten, Leichtbauhallen oder Messehallen widerspricht diesem Grundrecht evident.
Menschenwürde
Bei systematischen Fehlern im Asylverfahren oder wenn „die Möglichkeit nicht als abwegig verworfen werden kann, dass eine erhebliche Zahl Asylsuchender in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder sogar in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden könnte“, geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von einer Verletzung des Verbots der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (Art. 3 EMRK) aus.
Da nach Artikel 15 EMRK von Artikel 3 EMRK in keinem Fall, auch Notstandsfall, abgewichen werden darf, ist das zu schließende Fazit, dass die Begleiterscheinungen, die mit der Verpflichtung in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, einhergehen, eine unentschuldbare Menschenrechtsverletzung darstellen.
Die Menschenwürde wird in der BRD zudem durch das Sozialstaatsprinzip ausgestaltet. Hierzu führte das Bundesverfassungsgericht aus:
„Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht.“
„Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten. Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.“
(BVerfG, vom 18. Juli 2012- 1 BvL 10/10 -, – 1 BvL 2/11)
Diese Rechtsprechung ist durch die Exekutive bei ihrem Handeln zwingend zu berücksichtigen.
Es muss daher umgehend darauf hingewirkt werden, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen ein Mindestmaß der Teilhabe im Lichte des sozio-kulturellen Existenzminimums aufweisen.
Menschenwürdiges Existenzminimum
Die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht.. Das menschenwürdige Existenzminimum umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.
Eine Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus ist nur möglich, sofern der Bedarf der Betroffenen an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann. Doch die Bedürfnisse von Schutzsuchenden werden in aller Regel eher überdurchschnittlich sein. Dennoch wird noch nicht einmal der Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Geflüchteten gewährleistet.
Recht auf Gesundheit
Der Zugang zu medizinischer Versorgung stellt ein elementares Menschenrecht dar (Art. 12 Zivilpakt, Art. 24 UN-Kinderrechtskonvention). Dieses wird in den Erstaufnahmeeinrichtungen nur unzureichend umgesetzt. Dies hat sowohl mit dem Zugang zu medizinischer Versorgung, als auch mit der Form der Unterbringung an sich zu tun. Die Massenunterbringung von Personen führt sowohl zu psychischen Stress, als auch zu kaum kontrollierbaren Übertragung von Erkrankungen, von dem besonders Personen mit schwachem Immunsystem, wie beispielsweise Kleinkinder, betroffen sind.
Die Förderung psychischer Belastung durch eine Unterbringung in Hallen oder Zelten mit mehreren hundert Personen ist spätestens mittelfristig nicht von der Hand zu weisen. Die im Asylgesetz neu geregelte Unterbringung von bis zu sechs Monaten – für Personen aus sicheren Herkunftsländern sogar von mehr als sechs Monaten – hat erhebliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit.
Daraus folgt, dass das medizinische Personal vor Ort aufgestockt und strukturell gestärkt werden muss.
Recht auf Privatsphäre und Recht auf Familie
Das Recht auf Privatsphäre (Art. 8 EMRK und Art. 7 GRCh) garantiert Rückzugsräume und daher die Möglichkeit zur Herstellung und Wahrung des Privatlebens für Einzelpersonen, Paare oder Familien. Diese sind in den Massenunterkünften nicht gegeben. Die Räume müssten auch abschließbar sein, um zumindest kurzzeitig eine beruhigte Atmosphäre zu schaffen und sich vor Eingriffen in die Privatsphäre zu schützen. Darüber hinaus ist zu gewährleisten, dass es zu keiner Überbelegung der Unterkünfte kommt. [3]
Dies stellt nach Hendrik Cremer, Mitarbeiter am Institut für Menschenrechte, folgende Bedingung dar: „Gemeinsam und unter sich bleiben können.“ (HC S. 7)
Rechte der Kinder
Die UN-Kinderrechtskonvention gilt in der BRD seit Juli 2010 uneingeschränkt für alle Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Das Recht auf Spiel und aktive Erholung ist für Kinder ausgesprochen wichtig. Darüber hinaus ist der Zugang zu Bildung sicherzustellen, der eine umfassende fünftägige Schulbildung umfasst. Der diskriminierungsfreie Zugang zum Regelschulsystem muss schnellstmöglich erfolgen, laut Artikel 14 der EU-Aufnahmerichtlinie nach mindestens drei Monaten. Diese Norm kollidiert mit der Verlängerung des Aufenthalts in Erstaufnahmeeinrichtungen.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen wird regelmäßig die 3-Monats-Frist überschritten, nur vereinzelt gibt es während des Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen Sprachunterrichtsangebote, die jedoch keinen Ersatz hinsichtlich des Lehrangebots sowie der sozialen integrativen Funktion von Schulen darstellen können.
Schutz vor sexuellen Übergriffen und von LSBTI[4]-Personen
Die EMRK gibt durch ihre Art. 3 und 8 und der daraus entwickelten Rechtsprechung auch Vorgaben zu Prävention, Intervention und gegebenenfalls Rechtsschutz vor. [5] Diese sind in den Massenunterkünften dringend zu beachten und Maßnahmen zum Schutz vor sexuellen Übergriffen und von LSBTI-Personen haben umgehend zu erfolgen.
B. Die Verfahrensrechte
Die Postzustellungsvorschrift des § 10 Abs. 4 S. 2 AsylG „ Postausgabe- und Postverteilungszeiten sind für jeden Werktag durch Aushang bekannt zu machen“. Dies wurde in der Vergangenheitin den Hallenunterkünften in Leipzig nicht eingehalten. Stattdessen wurde sogar eingehende Post geöffnet und nicht weitergeleitet.
In Sachsen wird z.B. im Gegensatz zu Gefängnissen kein Recht auf Besuchsempfang eingeräumt und somit auch nicht sichergestellt, dass Organisationen und Personen, die Beratungsleistungen für Antragsteller erbringen, effektiven Zugang zu Antragstellern erhalten, wie es Art. 8 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie fordert.
Nach Art. 5 Aufnahmerichtlinie müssten Geflüchtete Informationen darüber erhalten, welche Leistungen ihnen im Rahmen der Aufnahme zustehen und darüber welche Organisationen oder Personengruppen einschlägige Rechtsberatung leisten und welche Organisationen ihnen im Zusammenhang mit den im Rahmen der Aufnahme gewährten Vorteilen, einschließlich medizinischer Versorgung, behilflich sein oder sie informieren können. Und diese Informationen müssen schriftlich und in einer Sprache erteilt werden, die der Antragsteller versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass er sie versteht und dies innerhalb einer Frist von höchstens fünfzehn Tagen nach dem gestellten Antrag auf internationalen Schutz. Diese Informationspflicht wird nicht eingehalten.
Nach Art 6. Aufnahmerichtlinie soll eine Registrierung spätestens nach 3, in Ausnahmefällen nach 6 Tagen erfolgen. Aufgrund mangelnder personeller sowie technischer Ausstattung kommen die Behörden dem nicht nach, stattdessen fanden sich bisher unterschiedlichste Zettel von der Bundespolizei, der Zentralen Ausländerbehörde oder gar Einrichtungsbetreibern mit unvollständigen oder falschen Angaben Verwendung. Seit dem 24.10.2015 ist diese sogenannte BüMA (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) gesetzlich verankert, eine teilweise Monate spätere Registrierung soll damit legitimiert werden, steht aber im Widerspruch zu EU-Recht. Mittlerweile werden sogar Bescheingungen vor der BüMA selbst ausgestellt.
Der eigentliche Beginn des Verfahrens kann für Menschen aus bestimmten Herkunftsstaaten Monate, auch mehr als 1,5 Jahre, dauern. Praktisch für das BAMF: So werden die Dauer von Asylverfahren künstlich kurz gehalten, gerechnet wird nämlich erst nach Verfahrenseröffnung.
Gesetzlich ist nicht geklärt, wie sich die BüMA auf einschlägige Fristen, beispielsweise das 3-monatige Arbeitsverbot, EAE-Aufenthalt oder Residenzpflicht, auswirkt.
Nach einer Antwort der Bundesregierung jedoch sollen alle Fristen auf die BüMA angerechnet werden [6]. Davon weichen jedoch einzelne Ausländerbehörden immer wieder ab.
Das zugewiesene Gebiet darf im Übrigen nach Art. 7 Aufnahmerichtlinie die unveräußerliche Privatsphäre nicht beeinträchtigen und muss hinreichenden Raum dafür bieten, dass Gewähr für eine Inanspruchnahme aller Vorteile aus der Aufnahmerichtlinie gegeben ist. Doch tatsächlich wird die Einheit der Familie noch nicht einmal gewährleistet.
Die Bundesrepublik prüft nie oder nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz, ob ein Antragsteller besondere Verfahrensgarantien benötigt. Begünstigt wären schutzbedürftigen Personen wie Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, also die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten. Auf sie dürfte keine Anwendung des beschleunigten Verfahrens stattfinden und die von ihnen eingelegten Rechtsmittel müssten automatisch aufschiebende Wirkung haben. Das heißt bis zur gerichtlichen Überprüfung ihres Schutzantrags dürften sie nicht abgeschoben werden. Doch durch diese Nichtidentifizierung und einhergehende Verletzung der Verfahrensgarantie ist die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten genötigt innerhalb einer Woche einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu stellen mit geringer Aussicht auf Erfolg, was unter anderem auch zur Verweigerung von Prozesskostenhilfe (und faktisch Rechtsbeistand) führt.
C. Fazit und Ausblick
Anhand der menschenrechtlichen Kodifizierung und somit des rechtlichen Grundfundamentes unserer Gesellschaft sind die oben beschriebenen Normen einzuhalten. Darüber hinaus müssen die aktuell geltenden unions- und bundesrechtlichen Vorgaben gewahrt werden.
Dies ist nicht zuletzt die grundlegende humanitäre und rechtliche Verpflichtung aller Unterbringungsakteure ab dem ersten Tag der Aufnahme Asylsuchender. Aktuell verstößt Sachsen bei der Erstaufnahme massiv gegen Grund- und Menschenrechte. Das auf diese Kritik gern vorgebrachte „Argument“ der Überforderung angesichts wachsender Zahlen Geflüchteter lassen wir nicht gelten, denn sie ist selbstverschuldet.
Parallel dazu müssen mittel- bis langfristige Alternativen zu der Erstaufnahme Asylsuchender entwickelt werden, die ein selbstbestimmtes Leben der Teilhabe sowie der Menschenrechte gewährleistet und fördert. Dazu haben wir das anbei anhängende Positionspapier formuliert.
Initiativkreis Menschen.Würdig, Januar 2016
Feedback erwünscht an: menschen.wuerdig@googlemail.com
[1] Diese ist bei der Umsetzung des Unionsrechts zu beachten (Art. 51 Abs. 1 GRC), wie der RL 2013/33/EU – EU–Aufnahmerichtlinie.
[2] Cremer, Hendrik, Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Menschenrechtliche Verpflichtungen bei der Unterbringung von Flüchtlingen, Policy Paper 26, Berlin 2014, S. 5.
[3] Amnesty International, Stellungnahme von Amnesty International an die Landesregierung Nordrhein-Westfalen zur Unterbringung Asylsuchender, 2014, S. 5.
[4] Abkürzung für lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und inter*sexuelle Menschen
[5] Rabe, Heike / Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Effektiver Schutz vor geschlechterspezifischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften, August 2015, S. 7.
[6] Deutscher Bundestag (2015): Antwort der Bundesregierung, Drs. 18/4581
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