Vor zirka zwei Wochen wurde auf dem Gelände der Neuen Messe im Norden von Leipzig die Halle 4 zum Erstaufnahme-„Interim“ umfunktioniert. Seitdem sind dort um die 2000 Menschen untergebracht. Aufgrund seiner Lage vor den Toren der Stadt fällt die Situation der dort untergebrachten Menschen vollkommen aus dem öffentlichen Fokus.
Seit Bezug der Halle zeigt die Gruppe Refugee-Support LE vor Ort Präsenz un versucht als Ansprechpartnerin für die Geflüchteten zu fungieren. Am Freitag war auch der Initiativkreis: Menschen.Würdig mit seinem Infobus und weitere Unterstützer*innengruppen präsent. In zahlreichen Gesprächen berichteten Bewohner*innen der Unterkunft von den Zuständen in der Halle.
Die Messehalle ist nichts anderes als ein Massenlager. Die Menschen werden dort abgeliefert und allein gelassen. Es gibt keine Registrierung durch die Zentrale Ausländerbehörde vor Ort, die der
Aufnahme des Asylgesuches durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorausgehen muss. Die Betroffenen hängen so vollkommen in der Luft, ihr rechtlicher Status ist ungeklärt. Informationen über den Fortgang des Verfahrens bleiben aus. Von der Erfüllung der Informationspflicht in der jeweiligen Landessprache kann erst recht nicht die Rede sein. Anstatt zwei Tage Aufenthalt, wie es einigen Betroffenen durch die Mitarbeiter*innen des Aufnahme-Interims mitgeteilt wurde, warten einige nun schon seit über zehn Tagen.
Die Ungewissheit und das Warten werden durch die Bedingungen in der Halle noch unerträglicher.
Das Essen ist äußerst knapp bemessen – dreimal am Tag gibt es 1-2 Scheiben Brot, 1 Scheibe Käse, 2 Scheiben Salami, ohne Nachweis ob mit oder ohne Schweinefleisch, und 1 Stück Butter. Bewohner*innen berichteten dem Initiativkreis, hungrig schlafen gehen zu müssen! Zudem wurde über Mangel an Getränken berichtet. Der Zugang zu jenen wird reglementiert. Möglichkeiten zum Kochen gibt es nicht.
Völlig prekär wird die Situation dadurch, dass die meisten Asylsuchenden auch nicht über Bargeld verfügen. Restvernmögen wird bei der Einreise durch die Polizei beschlagnahmt. Damit werden die
Menschen zwangsweise zu Leistungsempfänger*innen gemacht. Die Leistungen werden ihnen dann aber vorenthalten. Eine Taschengeldauszahlung, wie sie in der Erstaufnahme eigentlich
vorgesehen ist, findet in der Messehalle erstmal nicht statt.
Auch die sanitäre Ausstattung der Halle ist mangelhaft: Es gibt 36 WC und 8 Duschen für fast 2000 Menschen. Das Wasser ist kalt, Seife ist nicht vorhanden. Viele der Geflüchteten konnten sich darum seit Tagen nur notdürftig waschen.
Eine medizinische Versorgung sei vor Ort nicht gewährleistet. Grundsätzlich wurde bei den Geflüchteten in der Messehalle auch noch nicht die obligatorische Erstuntersuchung vorgenommen. Diese Untersuchung ist sogar sachsenweit nur in der Erstaufnahme in Chemnitz
und neuerdings in Dresden möglich. Welche Asylsuchenden besonders geschützt und versorgt werden müssen – wie etwa von Gewalt und Folter betroffene Menschen, Kranke, Ältere und Kinder – wird somit nicht geprüft. Dies widerspricht der EU-Aufnahmerichtlinie. Tatsächlich befinden sich in der Messehalle auch unbegleitete minderjährige Geflüchtete, die keine Möglichkeit haben, in das für sie vorgesehene Verfahren der Inobhutnahme nach dem Jugendhilfegesetz zu kommen.
Der Missstände gibt es zahlreiche weitere:
So gibt es keinerlei sachkundige AnsprechpartnerInnen vor Ort, die Auskunft darüber geben können, wie es für die Menschen weitergeht und wie lange sie noch im Lager in der Messehalle ausharren müssen. Für diverse Sprachen fehlen Übersetzer*innen. Aufgrund der Größe der Halle
und der Zusammenpferchung von Menschen sei es nachts viel zu laut zum Schlafen. Die einzelnen Schlafbereiche sind lediglich durch dünne Trennwände, die zu einer Seite hin offen sind, abgetrennt.
Ein vorhandener Aufenthalts- und Ruheraum existiert, verfügt jedoch nicht einmal über Sitzgelegenheiten. Auch einen Gebets- oder Andachtsraum gibt es nicht.
Kim Schönberg vom Initiativkreis Menschen.Würdig kommentiert:
„Die Zustände in der Messehalle 4 sind menschenunwürdig, ja menschenrechtswidrig. „I am an animal?“ („Bin ich ein Tier“) hat uns ein Geflüchteter bei unserem Besuch am Freitag gefragt. Mit der Lage fernab der Stadt ist die Messehalle 4 als Erstaufnahme besonders ungeeignet. Die dort untergebrachten Menschen sind vollkommen isoliert. Ihr Recht auf gesellschaftliche Teilhabe wird ihnen verwehrt: Ohne Taschengeld können sie sich keine Tickets für den ÖPNV kaufen, um der Tristesse zumindest kurzfristig zu entfliehen, Leipzig kennenzulernen, an Kulturveranstaltungen teilzunehmen, Kontakte zu knüpfen, Beratungsangebote wahrzunehmen oder einkaufen zu gehen.“
Conny Herzog von der Gruppe Refugee-Support LE ergänzt:
„Wie in anderen Erstaufnahme-Einrichtungen in Sachsen sind mehrere hunderte Menschen zusammengepfercht und müssen unter untragbaren Lebensumständen ausharren. Wie es mit ihnen und ihrem Asylbegehr weitergeht, wird ihnen nicht mitgeteilt. Dadurch macht sich das Gefühl von Ohnmacht, Verzweiflung und Resignation breit. Die Massenunterbringung tut das ihre dazu.
Die Zustände in der Messehalle haben mit einer menschenwürdigen Unterbringung nichts mehr gemeinsam. Sie sind grobe Menschenrechtsverletzungen. Der Verweis auf die steigenden Zahlen von Zufluchtsuchenden kann die Missstände nicht entschuldigen. Auch in Sachsen müssen Menschenrechte eingehalten werden!“
Mit dem in dem vergangenen Woche bekannt gewordenen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur „Änderung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und weiterer Gesetze“ sollen die derzeitigen Missstände nun gesetzlich festgeschrieben werden.
Wir rufen zu Protest gegen den Gesetzentwurf und die Zustände in den Erstaufnahme auf!
Beachten Sie auch unsere Fotos aus der Messehalle 4 (zur freien Verwendung).