Mit der Unterstützung vieler weiterer Initiativen, Organisationen und Einzelpersonen veröffentlicht der Initiativkreis: Menschen.Würdig. einen offenen Brief, der die Stadt Leipzig auffordert, die menschenunwürdige Asylsuchendenunterkunft in der Torgauer Straße zu schließen, die neu entstandene Unterkunft in der Riebeckstraße nur als Übergangslösung zu nutzen sowie Asylsuchenden und Geflüchteten vermehrt in eigenen Wohnungen unterzubringen und barrierefreies Wohnen in den Unterkünften zu ermöglichen. Der Brief kann hier heruntergeladen werden.
Sehr geehrter Herr Jung, sehr geehrter Herr Fabian,
sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte,
sehr geehrte Mitglieder des Migrantenbeirates,
nachdem in der LVZ-Printausgabe vom 22. März die Streichung der geplanten Unterkünfte in Portitz (Am langen Teich) und Schönefeld (Pögner Str.) durch die Sozialamtschefin, Martina Kador-Probst, bekanntgegeben wurde, wurde weiterhin öffentlich, dass die Massenunterkunft in der Torgauer Straße, die eigentlich laut Stadtratsbeschluss vom 18. Juli 2012 Ende 2013 schließen sollte, wahrscheinlich zwei Jahre länger in Benutzung bleibt. Der Weiterbetrieb, so Frau Kador-Probst, sei aufgrund der höheren Zuweisungen an Asylsuchenden durch den Freistaat Sachsen notwendig. Der Freistaat scheint nunmehr für die Situation der verlängerten Nutzung der Torgauer Straße verantwortlich zu sein. Dies erscheint uns als eine einseitige Schuldzuweisung. Eine höhere Zahl an zugewiesenen Geflüchteten kann keine Rechtfertigung für den Weiterbetrieb sein. Vor allem hätten der Stadt die erhöhten Zuweisungszahlen sowie Verzögerungen bei der Inbetriebnahme der dezentraleren Unterkünfte bekannt sein sollen/müssen.
Es bleibt dabei: Die Torgauer Straße ist nicht länger tragbar!
„Die Torgauer Straße ist menschenunwürdig. Sie wird zugemacht. Definitiv!“ So zitierten mehrere Medien den Leipziger OBM, Burkhard Jung, noch Anfang Juli letzten Jahres1. Es scheint nunmehr notwendig, die städtischen Vertreter_innen und ein Gros der Stadträt_innen an jene Aussage zu erinnern, an ihr festzuhalten und auf Umsetzung zu drängen.
Mehr als 5.000 Menschen unterzeichneten 2012 die Petition des Initiativkreises: Menschen.Würdig., in der das Konzept „Wohnen für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Leipzig“ als ein Schritt in die richtige Richtung angesehen wurde. Die Unterzeichner_innen forderten weiterhin eine nicht nur dezentralere, sondern eine tatsächlich dezentrale Unterbringung Asylsuchender ein. Die Stadt ist unter der bestehenden Situation nunmehr gefordert, Asylsuchende in regulären Wohnungen unterzubringen, anstatt in den bestehenden menschenunwürdigen Heimen. Dass dies möglich ist, lässt sich an den mehr als 60 % Asylsuchenden sehen, die bereits in Wohnungen leben.
Aber auch sonst scheint der Stadtverwaltung die Kreativität zu fehlen, wäre es doch möglich kommunale Immobilien zu nutzen. Aber auch der privatwirtschaftliche Wohnungsmarkt muss aufgefordert und gewonnen werden, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Ebenso ist es auch die Aufgabe der Stadt, bei privaten Vermieter_innen bestehende Ressentiments und Zuschreibungen gegenüber Asylsuchenden abzubauen – eine Forderung, die im Übrigen auch im durch den Stadtrat bestätigten „Gesamtkonzept zur Integration der Migrantinnen und Migranten in Leipzig“ formuliert ist.
Wir fordern daher von der Stadt Leipzig und vor allem vom Land Sachsen, die Aufenthaltsdauer von Asylsuchenden in Wohnheimen auf eine kurze Orientierungsphase zu verringern und sie so früh wie möglich in dezentralen Wohnungen unterzubringen. Die wichtige soziale Betreuung in den Unterkünften soll und kann auch dezentral erfolgen.
Lebensbedingungen Asylsuchender verbessern – auch in der Riebeckstraße 63
Mit der Riebeckstraße 63 soll in den kommenden Wochen eine weitere Unterkunft in Betrieb gehen. Seitens der Stadt sind die Bemühungen erkennbar, den zukünftigen Bewohner_innen ein angenehmeres Wohnen zu ermöglichen: So ist der Pandechaion e. V., die Betreiberin der Unterkunft, ein Verein, dessen Mitarbeiter_innen auf langjährige Erfahrungen mit der Begleitung Geflüchteter zurückblicken können. Auch die hohen Räume, der geräumige Flur und die Gartenanlage bieten eine angenehme Atmosphäre.
Genanntes darf aber nicht über zu kritisierendes Hinwegtäuschen:
- So existiert pro Etage lediglich ein Duschraum, in dem drei Duschkabinen stehen, die mit einem Duschvorhang vom Raum abgetrennt sind. Privatsphäre ist somit nicht möglich. Sofern dort lebende Männer und Frauen getrennt duschen wollen, sind zumindest Etagenwechsel notwendig.
- Die Räume sind für eine oder drei Personen ausgelegt. Der Wohnraum für Letztere liegt damit knapp über dem erhöhten Satz von 7,5 m² pro Person. Zudem ergibt sich für uns die Frage, ob ausschließlich Familien für diese Räumlichkeiten vorgesehen sind, da zu den Standards des Konzepts die maximale Belegung eines Raumes mit zwei Personen angedacht ist. Lediglich für Familienverbände ist eine Belegung mit drei Personen möglich. Für diese ist im Konzept aber wiederum eine abgeschlossene Wohneinheit – keine Einzelräume – geplant, in der es eigene Sanitäreinrichtungen und eine Küche gibt. Gemeinschaftsanlagen wurden ausgeschlossen.
- Nun gibt es jedoch auf jeder Etage nur zwei Küchen. Pro Etage ist die Unterbringung von 22 Personen geplant, dementsprechend nutzen ca. elf Menschen eine Küche.
- Auch der geräumige Flur ist zu kritisieren. Alle Zimmer zeigen auf den breiten und geraden Flur – ähnlich eines Panoptikums – und geben den Bewohner_innen so das Gefühl des ständigen überwacht Werdens. Rückzugsräume werden so verunmöglicht.
- Und auch sonst scheint es bei der neuen Unterkunft – wie auch schon in der alten – um die Bewachung der Bewohner_innen zu gehen. Denn es wird auch in dieser Unterkunft einen Wachdienst geben, der ganztägig anwesend ist und somit die Lebensverhältnisse der Bewohner_innen zusätzlich erschwert und einschränkt.
Die Unterkunft kann nicht als Schritt in die richtige Richtung betrachtet werden, sondern eher als Stagnation. Das Ziel muss das selbstbestimmte, private und überwachungsfreie Wohnen und Leben Asylsuchender sein. Die Riebeckstraße 63 steht dem in ihrer jetzigen Form jedoch entgegen.
Barrierefreie Unterkünfte ermöglichen – auch in Leipzig!
Geflüchtete sind in der BRD auch in Bezug auf ihre gesundheitliche Situation benachteiligt. Dies betrifft insbesondere auch Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen. In Leipzig gibt es in dem Sammelunterkünften keine barrierefreien Wohnmöglichkeiten. Laut Stadtverwaltung soll es diese aufgrund zu hoher Kosten auch nicht geben. Stattdessen soll es „Einzelfalllösungen“ geben. Einzelfalllösungen bedeuten immer Willkür und Unsicherheit für die Betroffenen. Vor diesem Hintergrund fordern wir, dem Leitbild der UN-Konvention „über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ folgend, eine auszuhandelnde Zahl barrierefreier Wohnmöglichkeiten mit entsprechender Betreuung sowohl in Sammelunterkünften als auch in eigenen Wohnungen als Standard.
A never ending story!
Die Streichung der angedachten Unterkunft in Portitz hat bei Gegner_innen in anderen Stadtteilen scheinbar die Hoffnung geweckt, auch andere Standorte könnten revidiert werden. Ganz vorne dabei ist die Bürgerinitiative Wahren. So bot die LVZ in ihrer Ausgabe vom 25. März Annett Baar, Vorsitzende der BI Wahren, ein Podium, in dem sie sich über eingeworfene Fensterscheiben und angebliche Bedrohungen ausließ und diese mit den Aktivitäten der BI in Verbindung brachte – Belege dafür präsentierte sie nicht. Nicht nur diese Vorwürfe sind unverständlich, sondern auch ihr historischer Verweis auf die so genannte Friedliche Revolution. Die Rückgriffe auf die Umbrüche des Jahres 1989 erscheinen alles andere als geeignet, um gegen Geflüchtete zu agitieren, die die BI Wahren nicht in ihrer Nachbarschaft haben möchte. Zudem wäre es erfreulich, würden nicht nur den Wahrener Gegner_innen des Konzeptes eine Plattform geboten, sondern ebenso den Befürworter_innen und sich solidarisch zeigende Anwohner_innen.
Das Warten muss ein Ende haben! – Enough is enough!
Wir haben nicht länger Interesse an beschwichtigenden Verlautbarungen, starren Verwaltungsvorschriften, finanziell-bedingten Ausreden, einer rassistischen Sondergesetzgebung und institutioneller Diskriminierung. Wir fordern nichts Unmögliches, lediglich selbstbestimmtes Wohnen und Leben für alle Menschen.
Dazu ist es jedoch notwendig, dass die Unterkunft in der Torgauer Straße geschlossen wird, die Riebeckstraße lediglich eine Übergangsunterkunft bleibt und die Verwaltung vermehrt darauf setzt, Asylsuchende und Geflüchtete dezentral, d.h. in Wohnungen unterzubringen. Ebenso ist die Verwaltung für die Ausstattung jener Wohnungen und Unterkünfte verantwortlich, somit auch für einen barrierefreien Zugang, sodass auch asylsuchende Menschen mit Behinderung nicht ausgeschlossen werden, einen Zugang zu Gebäuden und Räumlichkeiten zu haben.
Auch wenn dieses Konzept einen ersten Schritt in die richtige Richtung darstellte, können und werden wir uns nicht damit zufrieden geben, denn weitere Schritte sind schnellstens notwendig. Dafür sind wir wie auch Sie gefordert.
Unterzeichner_innen – Initiativen, Gruppen, Organisationen:
- Initiativkreis: Menschen.Würdig.
- AG Dezentralisierung: Jetzt!
- AG Flüchtlingsheim Leipzig Grünau
- Bündnis 90/ Die Grünen KV Leipzig
- Bürgerinitiative „Leipzig Korrektiv“
- chronik.LE – Dokumentation faschistischer, rassistischer und diskriminierender Ereignisse in und um Leipzig
- Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (FKR)
- Gruppe „Gedenkmarsch für die Opfer der Todesmärsche in Frühjahr 1945“ – Leipzig
- Initiativkreis NoHeim
- Initiativgruppe „Mahnwache und Stolpersteine putzen“
- linksjugend Leipzig
- linXXnet – Abgeordneten- und Projektebüro DIE LINKE
- Netzwerk Asyl Migration Flucht Dresden
- Piratenpartei Kreisverband Leipzig
- Rassismus tötet! Leipzig
- Sächsischer Flüchtlingsrat e.V
- Sächsischer Migrantenbeirat
- selbstverwaltete räume – die ganze bäckerei
- Sozialistische Jugend – Die Falken, Landesverband Sachsen
- Vorstand von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Leipzig
Unterzeichner_innen – Einzelpersonen:
- Jojo Ernte
- Jens Frohburg
- Aline Haag
- Erik Hildebrandt
- Veronika Lechner, Leipzig
- Monika Lazar, Leipzig, Bundestagsabgeordnete Bündnis 90/ Die Grünen
- Manuel Liedtke, Sozialpädagoge
- Juliane Nagel, Vorstandsmitglied DIE LINKE Altwest
- Kathleen Pöge, Universität Kassel
- Dipl.-Ing.-Päd. Jörg Reibetanz, Berufspädagoge, Waldheim
- Michael Reibetanz, Soziologe/Historiker, Ústí nad Labem
- Frank Schubert, Leipzig